Wüsten der Nordhalbkugel

Einführung


Die Wüsten der Nordhalbkugel umspannen in einem Gürtel zwischen dem 20. und 40. nördlichen Breitengrad die Erde. Dieser Wüstengürtel verläuft weder durchgehend noch breitenparallel, sondern bildet von der Westsahara bis zur Wüste Gobi eine Diagonale. Diesen Teil des Wüstenbandes nennt man den »Altweltlichen Trockengürtel«. Er nimmt seinen Anfang an der Nordwestküste Afrikas mit der Sahara – der mit neun Millionen Quadratkilometern Fläche mit Abstand größten Wüste der Erde. Sie zieht sich vom Atlantik bis zum Roten Meer quer durch den afrikanischen Kontinent. Der nördliche Wüstengürtel findet seine Fortsetzung auf der Arabischen Halbinsel mit der Rub al-Khali und der Großen Nafud und in Vorderasien mit der Wüste Negev, der Syrischen Wüste, der Großen Kavir und der Wüste Lut. In Mittelasien sind die Wüsten Karakum und Kysilkum zu nennen, in Zentralasien sind die wichtigsten Wüsten die Gobi, die Takla Makan, die Ordos, die Badain Sharan und die Changtang, auf dem indischen Subkontinent die Wüsten Thar und Sindh. Auch am Hindukusch, im Pamir und im Himalaya liegen aride Gebiete. Die Wüsten der Nordhalbkugel setzen sich im südwestlichen Nordamerika mit der Great Basin Desert, der Mojave, der Sonora und der Chihuahua fort. Zwei Klischeevorstellungen über Wüsten sind weit verbreitet, jedoch falsch: Wüsten sind eintönige Landschaften, und sie bestehen vor allem aus Sand. Tatsächlich sind nur ein Fünftel aller Wüstenflächen Sandwüsten, ausgesprochene Dünenlandschaften (Ergs, Edeyen) machen weltweit gar nur ein Zehntel aus. Nur die Rub al-Khali auf der Arabischen Halbinsel ist eine reine Sandwüste mit bis zu 200 Meter hohen Megadünen (Draa). Sie stammen in allen Wüsten aus früheren Zeitabschnitten, als die Windgeschwindigkeiten noch viel höher waren als heute, und sind ortsfest. Dünen dagegen werden auch heute noch vom Wind geformt und im Fall der Barchane (Sicheldünen) auch bewegt. Sie sitzen in den großen Ergs der Erde oft in den Dünentälern zwischen den Draa und tragen zum Bild eines Sandmeers bei.

Die größten Flächen nehmen Hamadas ein, das sind Fels- und Steinwüsten. Man unterscheidet Hamadas, zwischen deren Steinen sich Feinmaterial abgelagert hat, und Hamadas, bei denen die Steine auf einem Felssockel aufliegen. Hamadas werden auch je nach ihrer Gesteinsart in Kalkstein-, Sandstein- und Basalthamadas unterteilt. Ein zweiter Oberflächentyp in der Wüste ist die Serir, eine Kieswüste. Es handelt sich bei dieser monotonen Oberflächenform um gerundete Flussablagerungen, deren Durchmesser von zwei bis 60 Millimeter reichen können. Regs stellen einen weiteren Oberflächentyp in den Wüsten dar. Diese muss man sich als kleinsteiniges Wüstenpflaster vorstellen. Ein anderer weitverbreiteter Oberflächentyp sind Sandschwemmebenen, die entstehen, wenn episodische Niederschläge Kies und Sand aus der Hangverwitterung schwemmen. Schwemmebenen zeigen eindrucksvoll, dass selbst dort, wo Flüssigkeitsmangel herrscht, Wasser eine stark landschaftsbildende Kraft hat. Becken und Senken sind in Wüsten häufig durch Salztonebenen und reine Salzwüsten bestimmt; ihnen gemeinsam ist der fehlende Oberflächenabfluss. Sie werden je nach Region Schott, Salar, Kawir oder Sebkha genannt.


FLORA UND FAUNA

Anders als häufig angenommen, sind Wüsten keineswegs leblose Räume. Tiere und Pflanzen sind auch in den trockensten und heißesten Wüstengebieten anzutreffen. Die Herausforderungen für ein Überleben in den Wüsten sind groß: extreme Temperaturen, enorme Temperaturschwankungen von bis zu 100 Grad Celsius, hohe UV-Strahlung, nahezu beständiger, austrocknender Wind, kaum Deckung vor Raubtieren und ein geringes Nahrungsangebot. Entscheidender Faktor für das Überleben in der Wüste ist aber das Vorkommen von Wasser.

Wasser ist die wichtigste Voraussetzung für alle physiologischen Prozesse, ob beim primitiven Einzeller oder dem höchstentwickelten Säuger. Immerhin bestehen Lebewesen aus etwa 70 – 95 Prozent Wasser. Sowohl alle Transportsysteme, ob der Blutkreislauf, das Lymphsystem oder osmotische Regulationsprozesse zwischen den Zellen, als auch die Sauerstoffaufnahme in den Atmungsorganen sind an einen ausgeglichenen Wasserhaushalt gebunden. Kann der Wasserverlust nicht durch Wasseraufnahme ausgeglichen werden, stirbt das Lebewesen. Diesbezüglich gibt es erstaunliche Unterschiede bei den Wüstentieren: zwischen jenen, die täglich trinken müssen, und denen, die wegen ihrer physiologischen Anpassungsleistung mit geringen Wassermengen auskommen. Erstgenannte sind gezwungen, weite Strecken zwischen den Wasserstellen in den Oasen, den Weiden oder Brutplätzen zurückzulegen. Senegal-Flughühner nisten beispielsweise weit weg von den Wasserquellen, die sie täglich aufsuchen. Dort speichern sie in ihrem Gefieder Wasser, um es den Jungvögeln mitzubringen. Insekten, Skorpione und Spinnen sind hingegen genügsamer und durch eine Schutzschicht aus Chitin und Wachs gegen schnelle Verdunstung geschützt.

Wasserverlust entsteht üblicherweise durch Ausscheidung von Kot und Urin, durch Transpiration über die Körperoberfläche und beim Ausatmen der Luft. Hier haben sich im Lauf der Evolution verschiedenste spezielle Mechanismen entwickelt, um das Wasser im Körper zu halten. Vögel und Reptilien produzieren keinen flüssigen Urin, sondern scheiden die Harnsäure in kristalliner Form über den Kot aus. Wüstenspringmäuse und andere Nager haben keine Schweißdrüsen, sie müssen aber trotzdem ein Überhitzen der Körpertemperatur verhindern und verbringen die heiße Tageszeit in Erdlöchern und Höhlen. In Zeiten extremer Nahrungsknappheit und winterlicher Kälte verfallen sie in eine Schlafstarre, reduzieren die Körperfunktionen und – vergleichbar mit einem Winterschlaf – überdauern so die entsprechenden Perioden.

In den Sommermonaten stellt die Hitze in den Wüsten neben dem Wassermangel eine weitere Herausforderung dar. Die lebenswichtigen Enzyme entfalten zwischen 30 und 40 Grad Celsius ihre optimale Wirkung; steigt die Temperatur höher, werden sie nachhaltig geschädigt. Das endet für die meisten Tiere tödlich, falls es ihnen nicht gelingt, den Körper entsprechend zu kühlen. Die Temperaturen auf den Wüstenböden können in exponierten Lagen zwischen 60 und 80 Grad Celsius betragen. Daher verbringen die meisten von ihnen den Tag im Schatten oder in Höhlen, einige sind auch nachtaktiv. Viele Tiere regulieren die Körpertemperatur durch Schwitzen oder Hecheln. Das setzt allerdings voraus, dass genügend Wasser zum Trinken vorhanden ist.

Vorwiegend an den Lebensraum Wasser gebundene Tiere, also Amphibien und Reptilien, halten eine Ruhephase ein, wenn die Tümpel und Flussläufe ausgetrocknet sind. Ein interessantes Beispiel hierfür ist die Population der Wüstenkrokodile in Mauretanien. Bis 1999 galten sie für die Wissenschaft als ausgestorben, und man betrachtete die Population von nur noch sieben Exemplaren im Ennedi-Massiv des Tschad als die der letzten überlebenden Panzerechsen in der Sahara. Ein deutsches Forscherteam machte sich aufgrund eines Hinweises im Süden Mauretaniens nahe der Stadt Kiffa in den Überschwemmungsgebieten, den Tamouts und Gueltas, auf die Suche. Tatsächlich entdeckten sie eine Population von 40 – 50 Krokodilen. Es sind Hungerformen des westlichen Nilkrokodils, die eine maximale Länge von 2,3 Metern erreichen. Bei den Einheimischen war deren Vorkommen natürlich bekannt. Außerhalb der Regenzeit verbergen sie sich in Höhlen und Felsspalten. Dort verbringen sie eine mehrmonatige Ruhephase. Krokodile können sehr lange ohne Nahrungsaufnahme auskommen, vor allem dann, wenn sie regungslos in ihren Höhlen liegen.

Pflanzen sind in Wüsten ebenfalls stark limitierenden Bedingungen ausgesetzt: austrocknendem Wind, kaum Schatten durch andere Pflanzen, nährstoffarmen, oft salzigen Böden, salzhaltigem Grundwasser und stark schwankenden, zeitweise sehr hohen Temperaturen. Die größte Herausforderung für Pflanzen in der Wüste bleibt aber der Wassermangel. Die jungsteinzeitliche Feuchtperiode in der Sahara hat eindrucksvoll gezeigt, dass aus der Wüste Sahara bei ausreichend Niederschlägen eine Savannenlandschaft werden würde. Angesichts der heute extremen Umweltbedingungen wundert es nicht, dass die Artenzahl von Pflanzen ähnlich wie bei den Tieren in den Wüsten deutlich herabgesetzt ist. In der gesamten Sahara finden sich etwa 1400 Pflanzenarten – das sind gerade mal so viele, wie man sie im tropischen Regenwald schon auf wenigen Quadratkilometern findet.

Die Strategien, mit dem extremen Wassermangel in den Wüsten umzugehen, sind bei Pflanzen sehr unterschiedlich. Akazien sind Tiefwurzler und investieren die gesamte Produktion aus der Fotosynthese so lange in das Wurzelwachstum, bis sie Grundwasser erreicht haben; erst dann beginnt der Baum nach oben zu wachsen. Dieser scheinbare Latenzzustand kann Jahrzehnte dauern, weil für das Wachstum am Anfang nur das Wasser aus den kurzen Regenperioden zur Verfügung steht. Unterirdische Speicherorgane wie Knollen und Zwiebeln können jahrelange Ruheperioden überdauern und bei Regen innerhalb weniger Tage zu voller Blüte austreiben. Kleinste Blätter schützen vor Wasserverlust. Verdunstungsschutz gelingt aber auch durch Abdichten der Blätter und verschließbare Spaltöffnungen, wie es bei Palmenblättern der Fall ist. Tamarisken bilden ein Wurzelnetzwerk und damit einen unterirdischen Feuchtigkeitsspeicher. Es gibt in den Wüsten auch »Schmarotzerpflanzen«, welche den Wasserspeicher anderer Pflanzen anzapfen und ihnen Wasser und Nährstoffe entziehen. Sie bilden bis zu einen Meter hohe, farbintensive Blütenstände aus. Die Sukkulenten verfolgen wiederum eine andere Strategie: Sie speichern Wasser in ihrem großzelligen Grundgewebe. Auch wenn es Pflanzen gelingt, mit dem geringen Wasserangebot zurechtzukommen, ist ihr Überleben nicht garantiert, denn Wild- und Weidetiere sind ihre Fressfeinde. Um sich gegen sie zu schützen, besitzen viele Wüstenpflanzen Dornen, wie beispielsweise die Akazien oder die Kakteen, andere, wie der Sodomsapfel oder die Koloquinte schützen sich durch Giftigkeit oder Ungenießbarkeit.


MENSCHEN

Menschen haben im Gegensatz zu Tieren und Pflanzen keinerlei physiologische Anpassungen an die Wüstenbedingungen entwickelt. Der Schlüssel zum Leben und Überleben liegt hier in ihrer kulturellen Adaption. Dies gilt für traditionelle Wirtschaftsformen genauso wie für die Errungenschaften des modernen Lebens in den Wüsten Nordafrikas, Asiens und Nordamerikas. Die Bandbreite menschlicher Lebensweisen in den Wüsten der Nordhalbkugel ist immens. Die Wolkenkratzer und Einkaufszentren in Dubai sind genauso Teil des Umgangs des Menschen mit Wüste, wie es die letzten Salzkarawanen sind, die heute noch durch die Sahara ziehen: Moderne Lebensformen koexistieren mit traditionellen, wie der Oasenwirtschaft, dem Jagen und Sammeln und dem Nomadismus.

Oasen existieren nur dort, wo das Grundwasser, Flussläufe oder Quellen Pflanzenwuchs ermöglichen. Es gibt unbewohnte oder nur saisonal genutzte Oasen, die meisten sind aber dauerhaft besiedelt und werden intensiv bewirtschaftet. Oasen finden sich typischerweise im Altweltlichen Trockengürtel, wo die Dattelpalme die dominierende Kulturpflanze ist. Oasen wie Ghardaia in Algerien oder Timbuktu in Mali wurden nicht nur zu wirtschaftlichen Umschlagplätzen, sondern waren auch als Zentren des Glaubens, der Wissenschaft, Kunst oder Literatur bekannt. Oasen waren auch Geburtsstätten von Hochkulturen wie die der Pharaonen im Niltal oder die des Zweistromlandes an Euphrat und Tigris.

Die indigenen Völker Nordamerikas waren Jäger und Sammler. Ihre Fähigkeit, Wasserstellen aufzuspüren, das Jagen der einst zahlreichen Wildtiere sowie die detaillierte Kenntnis der Pflanzenwelt sicherten der indigenen Bevölkerung Nordamerikas auch in den Wüsten und Halbwüsten über Jahrtausende das Überleben. Die Ausbreitung der modernen Zivilisation führte zur fast völligen Auslöschung dieser Jäger-und-Sammler-Kulturen.

Im gesamten Altweltlichen Trockengürtel ist bis heute der Nomadismus die einzige Wirtschaftsform, um die landwirtschaftlich nicht anders nutzbaren, gewaltig großen Räume zwischen Mauretanien und China wirtschaftlich in Wert zu setzen. Man unterscheidet zwischen Vollnomaden, die einzig von der nomadischen Tierhaltung leben, und Halbnomaden, die dagegen zeitweise sesshaft sind und entweder Trockenfeldbau betreiben, als Händler oder im Transportwesen tätig sind. Ganz unterschiedliche Tiere bilden die Lebensgrundlage der Nomadenvölker. Je nachdem, welche Voraussetzungen die Natur bietet, sind dies Kamele, Pferde, Rinder, Yaks, Schafe oder Ziegen. Die Bandbreite der Nomadenvölker im Altweltlichen Trockengürtel ist groß. Auf den ersten Blick haben rinderzüchtende Bororo in der Sahelzone Malis wenig gemeinsam mit Kaschmirziegenhaltern in der Wüste Gobi. Und doch teilen sie die Fähigkeit, mit ihren Herden in den Wüsten zu überleben, indem sie in regelmäßigen Abständen den Weideplatz wechseln. Auch Wertvorstellungen, wie ein behutsamer Umgang mit der Natur, um die Lebensgrundlage zu sichern, oder das Festhalten an der auf die Lebensbedingungen bestens ausgerichteten traditionellen Kleidung sowie den spezifischen Wohnformen sind den Nomaden gemeinsam. Dies gilt auch dann noch, wenn in vielen Jurten der Mongolei Fernsehgeräte stehen und viele Bororo inzwischen ein Mobiltelefon besitzen.

Eine große Bedrohung für die Nomadenkulturen stellen die Schikanen oder zumindest mangelnde Unterstützung durch die Regierungen und Verwaltungen der jeweiligen Nationalstaaten dar. Nomaden werden als eine schwer zu kontrollierende Bevölkerungsgruppe angesehen, da sie häufig nicht innerhalb von nationalen Landesgrenzen, sondern in Naturräumen leben, die sich über mehrere Staaten erstrecken. Sie fühlen sich meist nicht an regionale Gesetze gebunden und stellen sich dem staatlichen Regelwerk der oftmals autoritären Staaten entgegen. Hinzu kommt, dass das Ausweisen neuer Nationalparks und flächenfressende Rohstoffprojekte die Weidemöglichkeiten immer mehr einschränken. Die Auswirkungen des Klimawandels auf den Nomadismus sind bislang geringer, als gemeinhin angenommen. Vielmehr sind die Niederschlagsmengen in den klassischen Nomadengebieten, wie beispielsweise im Sahel und in Zentralasien, in den letzten Jahrzehnten eher gestiegen als gefallen. Die eigentliche Bedrohung für die einst kulturell so reichen Nomadenkulturen des Altweltlichen Trockengürtels ist der unaufhaltsam voranschreitende kulturelle und soziale Wandel.

Wer die Lebensweise der heutigen Wüstenbewohner nicht verklären möchte, muss sich bewusst machen, dass die meisten von ihnen heute nicht mehr traditionell leben und wirtschaften. Das gilt für die sesshaft gemachten Nomaden der Sahelzone genauso wie für die Bewohner der glitzernden Millionenstadt Dubai. Oftmals haben die Ausbeutung von Rohstoffen, die Erschließung fossiler Grundwasservorkommen oder die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung zu einem enormen Kulturwandel bei vielen Wüstenvölkern geführt.