Arktis

Einführung


Das Polargebiet auf der Nordhalbkugel, die Arktis, umfasst mit 26,4 Millionen Quadratkilometern etwa fünf Prozent der Erdoberfläche, nur etwa 7,6 Millionen davon sind Festland. Das Nordpolarmeer bedeckt 14,3 Millionen Quadratkilometer und setzt sich aus dem Arktischen Becken, der Barentssee, der Karasee, der Laptewsee, der Ostsibirischen See, der Tschuktschensee, der Beaufort- und der Baffinsee zusammen. Das Nordpolarmeer, mit dem geografischen Nordpol im Zentrum, wird von einer zirkumpolaren Landmasse umschlossen. Diese wird nur durch die schmale Beringstraße und die breite Öffnung des Nordpolarmeers zwischen Grönland und dem norwegischen Nordkap unterbrochen.

Während auf dem Südkontinent Antarktika eine bis zu 4700 Meter dicke Inlandeismasse liegt, sind vergletscherte Bereiche in der Arktis eher die Ausnahme. Lediglich Grönland, Spitzbergen, Franz-Josef-Land sowie einige Inseln in der kanadischen und sibirischen Arktis werden von einem Eispanzer bedeckt.

Die festländische Arktis wird in die Gletscherzone (Eiswüste) und in den Periglazialbereich unterteilt. Der Periglazialbereich setzt sich aus Kältewüsten und Tundren zusammen, beides eisfreie Gebiete mit Permafrostböden. Die Tundren erstrecken sich nördlich der Baumgrenze und lassen sich wiederum in Strauch- und Grastundren unterteilen. Die Gesamtfläche der Kältewüsten ist mit einer Million Quadratkilometern im Verhältnis zu den Tundren mit 4,5 Millionen Quadratkilometern eher klein. Wie eingangs betont, werden die überwiegenden Teile der Arktis aber nicht von Festland, sondern vom Nordpolarmeer eingenommen.


DIE ABGRENZUNG DER ARKTIS

Die ökologischen Verhältnisse sprechen gegen den nördlichen Polarkreis als Grenzlinie, denn dann würden klimatisch wie vegetationsgeografisch als »arktisch« zu bezeichnende Gebiete wie Südgrönland oder die Hudson Bay ausgeschlossen, dagegen Nordskandinavien, mit seinen Kiefern- und Birkenwäldern, miteinbezogen werden. Weitere Abgrenzungskriterien könnten die Permafrostgrenze, die Treibeisgrenze oder die Null-Grad-Jahresisotherme sein. Am besten hat sich auf den Festländern die polare Baum- und Waldgrenze als Südgrenze der Arktis bewährt. Sie entspricht weitgehend der Zehn-Grad-Juli-Isotherme. Da die Land-Meer-Verteilung die Temperaturen in der Arktis stark beeinflusst, verwundert es nicht, dass die Baumgrenze und eine damit einhergehende Abgrenzung der Arktis keineswegs breitenparallel verläuft.


DIE VEREISUNG

Der Arktische Ozean weist je nach Jahreszeit einen unterschiedlichen Grad der Vereisung auf, sodass in den nördlichsten Breiten die Meereisdecke auch im Sommer nicht komplett abschmilzt. Im Herbst setzt die Eisbildung an der amerikanischen und sibirischen Nordküste erneut ein. Etwas später beginnt das Eis dann an der noch vorhandenen Eisdecke zu gefrieren. So breitet sich die Eisdecke auf dem Arktischen Ozean im Herbst von zwei Seiten her aus. Die Meereisbedeckung nimmt in den Wintermonaten nach Süden hin weiter zu und erstreckt sich über weite Teile des Arktischen Ozeans. Das Packeis nimmt dann eine Fläche von bis zu 12,5 Millionen Quadratkilometern ein und geht im Sommer auf die Hälfte der Fläche oder weniger zurück. Das Meereis besteht aus ebenen Schollen, die sogar als Landebahn für Flugzeuge dienen können. Dazwischen finden sich bis zu 25 Meter hohe Presseiswälle und Kanäle mit offenem Wasser, die Leads genannt werden. Die Dicke des Meereises übersteigt nur selten drei Meter, weil Eis ein guter Isolator ist.

Auf offener See ist das Packeis selten stärker als zwei Meter, und Eisbrecher können diese ganzjährig durchbrechen. Das Tauen im Frühjahr dauert lange, da Eis eine hohe Albedo, also eine hohe Rückstrahlkraft, besitzt und damit kaum Sonnenstrahlung absorbiert. Außerdem wird oftmals neues Meereis aus anderen Teilen des Arktischen Ozeans herantransportiert. Das Eis des Nordpolarmeers bildet auch im Winter keine kompakte Eiskappe. Aufsteigendes Tiefenwasser, Meeresströmungen sowie Winde verursachen breite Risse und Polynjas, das sind Gebiete offenen Wassers, die für eine Vielzahl von pflanzlichen und tierischen Organismen überlebensnotwendig sind. Eine wichtige Ursache ihres Entstehens sind vertikale Konvektionsströmungen, die wärmeres Wasser an die Oberfläche bringen. Das Nordpolarmeer ist im Gegensatz zu den terrestrischen Ökosystemen der Arktis ein Gebiet mit hohem ökologischen Potenzial. Dort wo nährstoffreiches Tiefenwasser an die Oberfläche tritt, gibt es sogar eine höhere Produktivität der Ökosysteme als in subtropischen oder tropischen Meeren!

Wie schon erwähnt, ist der Grad der landgebundenen Vereisung nicht mit der in der Antarktis zu vergleichen. Den größten Teil des arktischen Festlandeises nimmt das grönländische Inlandeis mit 85 Prozent der Gesamtfläche ein, der Rest entfällt auf die Eiskappen diverser Inseln. Grönland ist zu 81 Prozent vom Inlandeis bedeckt, das norwegische Spitzbergen zu 60 Prozent, das russische Franz-Josef-Land zu 87 Prozent, und das ebenfalls russische Nowaja Semlja weist eine Vereisung von 30 Prozent auf. Eisschelfe, die typisch für die Antarktis sind, finden sich in der Arktis nur in Nordgrönland und auf Ellesmere Island. Verbreiteter sind die zahllosen arktischen Gletscher, die meist das offene Meer erreichen, dabei aufschwimmen und abkalben.

Eisberge entstehen durch Gletscherabbrüche an den polaren Küsten. Die Geburtsstätte der weitaus meisten arktischen Eisberge ist Nordwestgrönland. Die Driftwege lassen sich nachvollziehen und ergeben sich durch den Ort der Kalbung und die Meeresströmungen. Eisberge machen aber nur einen kleinen Teil des Drifteises aus, selbst in der an Eisbergen reichen Davisstraße, zwischen Kanada und Grönland, sind es nur zwei Prozent. In dieser 700 Kilometer langen und 300 Kilometer breiten Meerenge werden jährlich an die 7500 Eisberge gezählt, die mit dem Labradorstrom nach Süden ziehen; fünf Prozent von ihnen gelangen bis Neufundland.

Die Arktis besitzt ein Jahreszeitenklima mit ausgeprägten Unterschieden zwischen Polarsommer und -winter, die täglichen Temperaturschwankungen sind dagegen minimal. Der Grund hierfür sind die extremen Lichtverhältnisse. Je nach Breitengrad dauert der Polartag oder die Polarnacht Tage, Wochen oder gar Monate an. Am 90. Breitengrad, also am Nordpol, folgt auf einen halbjährigen Polartag eine halbjährige Polarnacht. Winter und Sommer sind in der Arktis sehr unterschiedlich ausgeprägt. Meteorologen sprechen in der Arktis von einem »kernlosen Winter«, weil sich in der Polarnacht die Strahlungsverhältnisse nicht ändern und die Temperatur konstant niedrig bleibt. Der Polarsommer dagegen gilt als »Spitzensommer«, weil es lange dauert, bis der Schnee geschmolzen ist und die Temperaturen wirklich steigen können – allerdings nur für sehr kurze Zeit.

Generell würden die Strahlungsverhältnisse in der Arktis eine zonale Struktur der Temperaturverteilung vermuten lassen: Das hieße, dass die Temperaturen im Winter wie im Sommer zum Nordpol hin kontinuierlich sinken würden. Die unterschiedliche Verteilung von Land und Wasser sorgt aber dafür, dass im Winter über Ostsibirien und über dem grönländischen Eisschild extreme Kälte herrscht, es in Nordkanada auf gleicher Breite aber deutlich milder ist. Der Kältepol der Nordhalbkugel liegt dann auch nicht am Nordpol, sondern in Jakutien, mitten im borealen Nadelwaldgürtel (die dort gemessene Tiefsttemperatur lag bei minus 67,8 Grad Celsius!). Mitverantwortlich für die ungleiche Temperaturverteilung ist auch der Golfstrom, der nicht nur in Skandinavien für vergleichsweise milde Verhältnisse sorgt, sondern mit seinen Ausläufern das Meer bis zum russischen Hafen Murmansk und bis an die Küsten Spitzbergens ganzjährig eisfrei hält. In der Beringstraße ist es hingegen der Pazifik, der für ein moderates Klima sorgt. Im arktischen Sommer weisen Nordostsibirien, Nordwestkanada und Teile Alaskas vergleichsweise hohe Sommertemperaturen auf, während das zentrale Polarbecken und das grönländische Inlandeis auch dann im negativen Temperaturbereich bleiben. Der sommerliche Kältepol der Arktis liegt dann auch am Nordpol.

Zyklone und Zwischenhochs der Westwindzone prägen das Wetter in der Arktis. Im Winterhalbjahr breitet sich ein Kältehoch über dem gefrorenen Nordpolarmeer und über Ostsibirien aus. In der Arktis ist, anders als in der Antarktis, keine zirkumpolare Tiefdruckrinne zu beobachten, sondern nur einzelne Tiefdruckzellen, wie das Islandtief. Grundsätzlich sorgt die Druckverteilung auf der Nordhalbkugel für ganzjährig östliche Winde in der Arktis. In Grönland sind aufgrund des mächtigen Eispanzers, ähnlich wie in der Antarktis, Fallwinde zu beobachten – sogenannte katabatische Winde.

Betrachtet man die jährliche Niederschlagsmenge, müsste die Arktis wie auch die Antarktis den Trockengebieten zugerechnet werden. Während in meeresnahen Gebieten noch 400 Millimeter Niederschlag pro Jahr, in Südgrönland auch 1000 Millimeter gemessen werden, fallen in küstenfernen Regionen und im Nordpolarbecken nur 100 Millimeter Niederschlag pro Jahr – ein Wert, der an die Sahara erinnert. Doch setzt man den geringen Niederschlag in Relation zu der noch geringeren Verdunstungsrate, ist die Bilanz dennoch ein schwach humides Klima.


DIE FAUNA UND FLORA DER ARKTIS

Für die Evolution sind die heutigen klimatischen Bedingungen im Bereich der Polargebiete etwas gänzlich Neuartiges, denn ähnlich kühle Bedingungen wie heute herrschten auf der Erde zuletzt im Paläozoikum vor 250 bis 500 Millionen Jahren. An die neuen, kalten Bedingungen in beiden Polargebieten konnten sich vor allem jene Arten anpassen, deren Körperbau schon vorher dafür geeignet war, die also präadaptiert waren. So siedelten sich die Robben sehr erfolgreich in den Polargebieten an, weil sie auch schon bei höheren Temperaturen dicke Unterhautfettschichten ausgebildet hatten und damit ohne große Umstellung in Eis und Kälte überleben konnten.

Das geringe Alter und die geringe Produktivität der polaren Ökosysteme führen dazu, dass die biologische Vielfalt im Vergleich zu den gemäßigten Breiten oder den Tropen gering ist. Vergleicht man aber die Arktis mit der Antarktis, wird deutlich, dass die Tier- und Pflanzenwelt der terrestrischen Arktis wesentlich arten- und zahlreicher ist als die der Antarktis. Während die Antarktis im Festlandbereich nur zwei Arten höherer Pflanzen und keine Landsäugetiere vorweisen kann, ist die Arktis dank ihrer weniger isolierten Lage und des milderen Klimas von vergleichsweise vielen Gefäßpflanzen und Landsäugetieren besiedelt. In beiden Polargebieten ist die Anzahl von Individuen innerhalb der einzelnen Arten besonders bei den Meereslebewesen sehr hoch.

Wechselwarme Landwirbeltiere wie Amphibien und Reptilien sind in der Arktis kaum zu finden, da es ihnen nicht gelingt, bei niedrigen Temperaturen aktiv zu sein. Von den zahlreicher vertretenen Insektenarten sind allein für die Hocharktis bis zu 350 Arten verzeichnet. Meist wird der lange Winter, ohne jegliche Nahrungsaufnahme, in Kältestarre verbracht. Die erfolgreichsten Tiere der Arktis sind die warmblütigen Säugetiere und Vögel. Das Federkleid der Vögel sowie die dichte Behaarung und das Unterhautfett der Säuger ermöglichen ihnen, auch bei sehr tiefen Temperaturen ihre Körpertemperatur aufrechtzuerhalten – was für die Lebensfunktionen von entscheidender Bedeutung ist. Interessant ist, dass es keine besonderen »Erfindungen der Evolution« für ein Überleben der Warmblüter in der Hocharktis gibt. Die Arktis wurde vielmehr von »Einwanderern« aus südlicheren Breiten besiedelt; einzelne Eigenschaften, wie die Körpergröße oder ein höheres Herzgewicht, veränderten sich geringfügig.

Von den insgesamt 4000 Säugetierarten leben nur 50 in der Arktis, lediglich ein Dutzend von ihnen ist dort ganzjährig zu finden. Dazu gehören die Moschusochsen, die den langen, dunklen Winter der Hocharktis in Herden überstehen. Nur große Tiere mit einem kleinen Oberflächen-Volumen-Verhältnis können diese unwirtliche Jahreszeit im Freien überleben. Kleinere Säugetiere, wie Mäuse oder Lemminge, überleben die winterliche Kälte in Erdhöhlen unterhalb der isolierenden Schneedecke. Ihre Körpertemperatur wird abgesenkt, weil ansonsten der im Fett gespeicherte Energievorrat nicht reichen würde, um den Körper monatelang auf optimaler Körpertemperatur zu halten. Migrationsfähige Arten haben bei den extremen Wintertemperaturen und gleichzeitiger monatelanger Dunkelheit einen klaren Selektionsvorteil. Bekannt sind beispielsweise die weiten Wanderungen der Karibus in Alaska. Die meisten arktischen Landvögel sind nur während der sommerlichen Brutperiode Bewohner der Arktis. Zirkumpolar besuchen jedoch 120 Arten die Tundren, nur sehr wenige von ihnen, darunter das Schneehuhn und der Gerfalke, sind dort ganzjährig anzutreffen.

Die Fauna des Arktischen Ozeans ist gekennzeichnet durch große Populationen warmblütiger Wirbeltiere wie Wale, Robben und Seevögel. Sie sind dort deshalb so zahlreich zu finden, weil die unteren Glieder der Nahrungskette, also Fische, Krebse und Plankton-Organismen wie Krill, so reichlich vorhanden sind. Davon profitieren auch die Wale. Neben den Bartenwalen gibt es in der Arktis auch Zahnwale, wie die Narwale oder die Belugas. Die zahlreich vorkommenden Robben sind die Hauptnahrungsquelle der im Packeis jagenden Eisbären. Der Eisbär ist zirkumpolar verbreitet, unternimmt auf der Suche nach Beute lange Wanderungen auf dem Eis und ist ein guter Schwimmer. Die arktischen Seevögel stellen als Nutzer des Planktons und der Fische ein wichtiges Endglied in der arktischen Nahrungskette dar. Sie sind während der Brutperiode in großen Kolonien an den arktischen Küsten zu finden. Manche Arten wie Möwen, Meeresenten und Zwergalken sind Nutzer der obersten Wasserschichten, andere wie Teiste und Lummen dringen in Tiefen von über 100 Metern vor. Auch die Fischwelt der Arktis ist geprägt von Artenarmut, bei gleichzeitiger hoher Individuenzahl. Typische Fische in der Arktis sind Groppen, Polardorsche, Scheibenbäuche, Lachse und Heringe.

Ähnlich wie die Tiere befinden sich auch die Pflanzen in den Polargebieten in einem harten Überlebenskampf. Es ist ein Kampf gegen Kälte, Wind und magere Böden. Konkurrenz unter den Pflanzen spielt, anders als beispielsweise im Regenwald, kaum eine Rolle. Niedrige Temperaturen und lange Schneebedeckung sowie sommerliche Trockenheit führen in der Hocharktis zu einer Vegetationsperiode von nur 40 bis 50 Tagen. Wird nicht einmal diese Zeitspanne erreicht, gedeihen keine Pflanzen. So führen Geografen und Botaniker nicht Kälte, sondern Wärmemangel als Ursache für fehlenden oder langsamen Pflanzenwuchs an. Pflanzen in der Arktis zeigen bestimmte morphologische Anpassungen an die Kälte. Dazu gehört die Isolation wichtiger Pflanzenteile durch wollartige Substanzen oder polsterförmigen Wuchs. Auch Zwergwuchs stellt eine Anpassung an die Kälte dar, weil so die etwas wärmeren Temperaturen in Bodennähe genutzt werden können. Manche arktischen Pflanzen sind behaart, was die Luftzirkulation über der Pflanzenoberfläche reduziert und so die Verdunstung und Einstrahlung verringert.

Man unterscheidet in der Arktis drei Vegetationszonen: Die Vegetationszone der nördlichen Arktis liegt innerhalb der sogenannten Frostschuttzone, die Pflanzenbedeckung variiert zwischen fünf und 25 Prozent, manche Gebiete sind ganz ohne Vegetation. Liegt die Vegetationsbedeckung unter zehn Prozent, spricht man von einer Kältewüste. Der niedrige Pflanzenbewuchs besteht aus Polsterpflanzen, Gräsern und wenigen Zwergsträuchern. Eher verbreitet sind Moose und Flechten, die keine Bodenbildung benötigen. Die Vegetationszone der mittleren Arktis besitzt eine Vegetationsbedeckung von 25 bis 50 Prozent. Neben Moosen, Flechten, Gräsern und krautigen Pflanzen gibt es hier auch vermehrt Zwergsträucher. Die Vegetationszone der südlichen Arktis schließlich bildet keinen breiten Vegetationsgürtel, sondern den Übergang zu den bewaldeten Gebieten. Der Bewuchs ist von Büschen dominiert und hat einen Bedeckungsgrad zwischen 50 und 100 Prozent.

Strahlungs- und Temperaturhaushalt, Wasserversorgung, Nährstoffverfügbarkeit und der Wind sind für das Vorkommen oder Fehlen von Pflanzen entscheidend. Die Verhältnisse können sich auch kleinräumig verändern und haben dann einen unterschiedlichen Grad an Vegetationsbedeckung zur Folge.


DIE MENSCHEN DER ARKTIS

Im Gegensatz zur Antarktis gibt es in der Arktis eine indigene Urbevölkerung, die sich trotz monatelanger Dunkelheit, extremer klimatischer Verhältnisse und niedriger Produktivität der Ökosysteme seit Jahrtausenden in diesem Lebensraum behauptet. Zur indigenen Bevölkerung der Arktis werden folgende Völker gerechnet, die sich ganzjährig oder zumindest jahreszeitlich in der Arktis aufhalten: So leben die Saami und die Komi auf der Kola-Halbinsel, die Nenzen beiderseits des Urals, die Nachfahren der Enzen, die Nganasanen, die Ewenken und die Dolganen sind auf der Taimyr-Halbinsel zu Hause, die Ewenen, die Jakuten und die Jukagiren leben zwischen Lena und Kolyma, die Familien der Tschuktschen hingegen sind im Gebiet von der Kolyma bis zur Beringstraße und die Inuit von der russischen Seite der Beringstraße bis Ostgrönland heimisch.

Die räumliche Verbreitung der frühen Einwanderer stand in direktem Zusammenhang mit der Klimaentwicklung in den letzten Jahrtausenden. Ob diese ersten Bewohner der Arktis in einer oder mehreren Einwanderungswellen eintrafen, ist umstritten. Lange Zeit hielt sich die Theorie der Clovis-Kultur. Die nachspäteiszeitliche Besiedlung erfolgte demnach durch steinzeitliche Jäger und Sammler, die vor mehr als 15 000 Jahren aus Nordostasien in das bereits eisfreie Ostsibirien vordrangen, während West- und Mittelsibirien sowie Nordeuropa noch von Eis bedeckt waren. Die Besiedlung des heutigen Alaska war möglich, als während des Höchststandes der Vereisung der Meeresspiegel um bis zu 100 Meter tiefer lag als heute und eine Landbrücke im Bereich der heutigen Beringstraße existierte. Neuere Forschungsergebnisse gehen jedoch davon aus, dass die ersten Bewohner Seefahrer waren, die mit Booten an der Pazifikküste entlang vordrangen. Die Vorfahren der Inuit konnten diese Landbrücke nicht mehr nutzen und sind um 3500 vor Christus mit Booten oder über das winterliche Eis nach Nordamerika eingewandert. Sie lebten als Jäger und Sammler: Die Jagd auf Wale und andere Meeressäuger sowie der Fischfang bildeten, ebenso wie die Karibu- und Vogeljagd oder das Beerensammeln, die Ernährungsgrundlage. Diese traditionellen, auf Selbstversorgung ausgerichteten Nutzungsformen stellten keine Gefährdung für die arktischen Ökosysteme dar. Schon seit dem 17. Jahrhundert machten sich Walfänger aus den europäischen Häfen in die Arktis auf. Aber mit Einführung technischer Neuerungen im 19. Jahrhundert, wie Dampfschiffen statt Segelschiffen oder Harpunenkanonen statt Handharpunen, und dem Einsatz von Walfangflotten, die aus Fabrikschiffen bestanden, nahm die Jagd auf Wale ein Ausmaß an, das die verschiedenen Arten massiv gefährdete. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte durch vielfältige staatliche Maßnahmen ein tief greifender Wandel in der Arktis ein. In der Sowjetunion sollte die indigene Bevölkerung in der sozialistischen Gesellschaftsordnung aufgehen, auch in Nordamerika wurden die Inuit oftmals mit restriktiven Methoden in wenigen Ortschaften angesiedelt und so in den modernen Warenverkehr eingegliedert. In Kanada wurden in den 1970er-Jahren 21 000 Huskys erschossen, um so den Aktionsradius der Inuit einzuschränken und sie zum bleibenden Aufenthalt in die Dörfer zu zwingen.

Erst in neuerer Zeit versucht man, durch umfangreiche Sozialprogramme die durch den erzwungenen Wandel entstandenen katastrophalen Folgen und Lebensbedingungen etwas zu verbessern. In Grönland wurden mit dänischer Hilfe und EU-Geldern Entwicklungsprogramme realisiert, die auf den Ausbau der kommerziellen Fischerei zielen, aber auch das traditionelle Jagen und Fischen fördern sollen. Traditionelles Wirtschaften wird heute in der Arktis oft nur noch als Nebenerwerb betrieben. Man spricht von einer gemischten Wirtschaft, der die indigene Bevölkerung nachgeht.

Anders als die Antarktis, die durch völkerrechtlich bindende Verträge vor einer Ausbeutung geschützt ist, werden die mineralischen und biotischen Ressourcen der Arktis heute von weltweit operierenden Unternehmen genutzt. Damit setzen sich der Kulturwandel sowie der tief greifende soziale und demografische Strukturwandel der indigenen Bevölkerung in der Arktis ungebremst fort. Das Bild vom stolzen Inuit-Jäger, der mit dem Hundeschlitten auf die Jagd geht und in einem Iglu übernachtet, gehört längst der Vergangenheit an.

Die Förderung von Erdöl, Erdgas und Kohle und die Erschließung mineralischer Lagerstätten haben eine erhebliche Gefährdung der arktischen Ökosysteme und massiven Landschaftsverbrauch zur Folge. Zahlreiche Infrastrukturmaßnahmen, wie der Bau von Straßen, Pipelines und neuen Siedlungen, belasten die sensiblen arktischen Ökosysteme. Die neuen Schifffahrtsrouten, die erst aufgrund des Klimawandels möglich wurden, bergen ebenfalls massive Gefahren für die Ökosysteme der Arktis. Grund zur Hoffnung gibt einzig die Weite und Größe der Arktis selbst, die immer noch völlig unberührte Landstriche bietet. Wenigstens diese letzten Gebiete müssten, ähnlich wie in der Antarktis, wirksam vor dem Rohstoffhunger der Industrie und den Plänen der Reedereien geschützt werden.