Wissen – Polargebiete und Trockenwüsten

Überlebensstrategien von Pflanzen in den Polargebieten und Trockenwüsten
Prof. Dr. Wolf Dieter Blümel


Wüsten sind Räume, in denen sichtbare Lebensformen stark zurücktreten und Kargheit oder gar Lebensfeindlichkeit das Landschaftsbild prägen. Vor etwa 20 Millionen Jahren begann die jüngste Phase von Wüstenbildungen auf unserem Globus, eingebunden in einen kontinuierlichen klimatischen Wandel unterschiedlicher Intensität – in den letzten zwei Millionen Jahren mit ihren mehrfachen dramatischen Wechseln von Eiszeiten und feuchteren Warmzeiten. Trockenwüsten wie Kälte- und Eiswüsten wuchsen und schrumpften in Korrelation mit dem kälteren oder wärmeren Zustand der Atmosphäre. Nur wenige spezialisierte Pflanzen- und Tierarten waren in der Lage, sich dabei neuen, extremen Umweltvorgaben anzupassen oder Nischen zu besetzen und so die Wüste zu ihrem Lebensraum zu machen.

Pflanzen bilden auch in der Wüste die Basis der Nahrungskette und des Stoffhaushalts: Sie sind die Produzenten im ariden Ökosystem. Sie ernähren die Pflanzenfresser, die Primärkonsumenten, die wiederum von Beutegreifern, den Sekundärkonsumenten, gefressen werden. Exemplarisch werden im Folgenden einige Überlebensstrategien und Lebensgrundlagen von Pflanzen erläutert.


PFLANZEN IN TROCKENWÜSTEN

Die Charakterisierung der Trockenwüsten als Lebensraum für Pflanzen basiert auf der spontan wahrnehmbaren Dauervegetation – den perennierenden Pflanzen. Diese ist in Vollwüsten gewöhnlich diffus oder sporadisch im Raum verteilt. Die einzelnen Pflanzen halten in der Fläche mit ihren Wurzelsystemen konkurrierenden Abstand zueinander. In Extremwüsten dagegen konzentriert sich das pflanzliche Leben meist auf Gunststandorte wie kleine Mulden, Abflussbahnen des Niederschlags oder am Fuße von Hängen, wo sich mehr Wasser und feinkörniges Bodensubstrat ansammelt. Dort steht das unverzichtbare Bodenwasser länger zur Verfügung als in der Umgebung. Im ökologischen Sprachgebrauch werden solche Standorte als »kontrahierte Vegetation« bezeichnet.

Da in Voll- und Extremwüsten die Niederschläge quantitativ, zeitlich und räumlich völlig unregelmäßig fallen, tritt eine weitere Lebensform nur episodisch in Erscheinung: die ephemere Vegetation. Hinter diesem Begriff verbirgt sich das faszinierende Phänomen der spontan ergrünten, blühenden Wüste. Dafür sind Pflanzengesellschaften verantwortlich, die nur in außergewöhnlich guten Regenzeiten nach intensiver, anhaltender Durchfeuchtung des Bodens aus Samen, Zwiebeln oder Knollen austreiben. Nur dann gelingt es den Artgenossen dieser »Regenflora«, innerhalb von ein bis zwei Monaten die Samenreife zu erreichen oder reproduktionsfähige Speicherorgane zu bilden. In den extremsten Trockengebieten mit weniger als zehn bis 20 Millimetern Jahresniederschlag stellen die Ephemeren die alleinige Vegetation. Sie sind in zwei Dürre meidende Lebensformen zu unterteilen: Die Pluviotherophyten überdauern auch eine sehr lange anhaltende Dürre im austrocknungsfähigen Samenstadium. Ihr zusätzlicher Vorteil ist, dass sie sich über den Wind weithin verbreiten können – hierzu zählen einige Grasarten wie Stipagrostis. Die Geophyten dagegen speichern Wasser und Reservestoffe in Zwiebeln, Knollen oder Wurzelgeflechten.

Beim Blick auf die Überlebensweisen und die ökologische Typisierung erscheinen jedoch die Vertreter der Dauervegetation, der ganzjährigen dürreresistenten Wüstenpflanzen, besonders bemerkenswert. Oft steht dabei die Frage nach Anpassungsstrategien an lange Dürreperioden und nach der optimalen Ausnutzung der geringen und unregelmäßig auftretenden Niederschläge im Vordergrund. Die Vorstellung, dass Wüstenpflanzen mit besonders wenig Wasser auskommen, gilt als überholt. Die Anpassungsleistung von Pflanzen an wüstenhafte Standortbedingungen ist vor allem in der Relation von Transpiration zu verfügbarem Wasser zu sehen: Je niedriger das Niederschlagsangebot pro Fläche, desto stärker wird die gesamte transpirierende Blattfläche reduziert.

Im Verlauf der Evolution haben sich verschiedene an Wassermangel angepasste Lebensformen und Überdauerungsmechanismen herausgebildet, die hier im groben Überblick vorgestellt werden.


WECHSELFEUCHTE PFLANZEN

Eine besonders erstaunliche Anpassungsleistung zeigt die Gruppe der Poikilohydren, die physiologisch gesehen zu den wechselfeuchten Arten zählen und selbst extremste Wasserverluste ertragen. Während langer Dürrephasen trocknen sie vollständig aus und verharren im Zustand scheinbarer Leblosigkeit (Anabiose; latenter Lebenszustand). Zu den poikilohydren Pflanzen zählen entwicklungsgeschichtlich niedere Pflanzen (Kryptogame), wie Algen, Pilze, Flechten und Cyanobakterien. Sie verfügen über eine sehr hohe Trockentoleranz des Plasmas. Aber Blütenpflanzen (Phanerogame) wie die Echte Rose von Jericho (Anastatica hierochuntica) oder der südafrikanische Buschmanntee (Myrothamnus flabelliformis) zählen ebenso zu den Poikilohydren. Volkstümlich gelten sie als »Wiederauferstehungspflanzen«: Bei Wasserangebot beleben sie sich sehr schnell; die Blätter entfalten sich und setzen ihre Aktivität fort. Die Zuwachsraten dieser wechselfeuchten Pflanzen sind sehr gering. Eine Ausnahme machen die Flechten in den Küstenwüsten der Namib und der Atacama. Hier ermöglicht die häufige Benetzung durch Nebelnässe eine vergleichsweise üppige Biomassenproduktion der Kryptogamen.


DÜRRERESISTENTE PFLANZEN

Xerophyten sind dürreresistente, die Austrocknung verzögernde Pflanzen, die in zahlreichen, völlig unterschiedlichen Pflanzengattungen vorkommen. Sie befinden sich in der Dürrezeit zeitweise im Ruhezustand und stellen vorübergehend das Wachstum ein. So vermindern sie die Transpirationsverluste oder speichern Wasser im Wurzelbereich. Viele Arten verbessern die Wasseraufnahme durch Vergrößerung wasserleitender Gefäße und verringern die Transpiration zum Beispiel durch Klein- und Hartblättrigkeit sowie durch die Steilstellung der Blätter. Zusätzlich ist oft die Schutzschicht aus Wachs (Cuticula) verdickt und lässt die Blätter ledrig erscheinen. Dadurch wird die Blattoberfläche in Relation zum Volumen vermindert und der Wasserverlust eingeschränkt. Wachsüberzüge oder Behaarung reflektieren zudem das Licht. Die zahlreichen kleinen, versenkten Spaltöffnungen (Stomata) können rasch auf Transpirationsverluste reagieren. Die Stomata finden sich häufig an der Blattunterseite eingestülpt – zum Schutz vor Austrocknung durch den Wind.

Viele holzige Pflanzen werfen bei Trockenheit Laub ab, haben xeromorphe, gefiederte Blätter. Sie entwickeln sehr hohe Wurzelsaugspannungen. Verkümmerter, verholzter Wuchs ist beinahe die Regel, da mit der Transpirationsminderung sowohl die Nährstoffaufnahme als auch der Gaswechsel bei der Fotosynthese verringert sind. Der Stammbereich ist oft verdickt; die Äste sind verhältnismäßig kurz, die Blätter klein. Insgesamt erscheinen solche Arten in ihrer gedrungenen oder bizarren Wuchsform unproportioniert gegenüber Arten in feuchteren Vegetationsgesellschaften.

Im ausgedehnten Wurzelsystem vieler Wüstenpflanzen liegt ein weiterer Schlüssel zum Verständnis des Überlebens. Es liegt meist dicht unter der Oberfläche, um auch geringe Niederschlagsmengen und Nebelnässe ausnutzen zu können. Wurzelteller von Kandelaber-Euphorbien zeigen Durchmesser von etwa zehn Metern und entwickeln ihr fein strukturiertes Netz unmittelbar unter der Bodenoberfläche; so können geringe Niederschläge optimal von der Pflanze aufgenommen werden. Auch Dornen sind bei Xerophyten häufig anzutreffen. Dabei handelt es sich um eine Modifizierung von Blättern zur Transpirationsminderung. Dornen dienen zusätzlich als Schutz vor übermäßigem Fraß. Besonders hervorstechend sind die Dornen bei Kakteen, Euphorbien oder Dickfuß-Gewächsen. Manche mehrjährigen Grasarten dagegen betreiben gar keinen Transpirationsschutz; sie verdorren und versuchen ihren Vegetationssprosskegel im Schutz der abgestorbenen Blätter zu konservieren. Nach zu langer Dürre bleibt zuletzt noch der Austrieb neuer Pflanzen aus deponiertem Samen.

Sukkulenten speichern Wasser in ihrem Gewebe, das in der Trockenphase verbraucht wird und gegen Überhitzung schützt. Sie bleiben somit aktiv, wachsen und blühen sogar in Zeiten des Wassermangels. Selbst bei geschlossenen Stomata laufen die physiologischen Prozesse in Dürrezeiten weiter. Je nach Speicherorgan unterscheidet man Stamm-, Blatt- und Wurzelsukkulenten. Manche Arten bestehen zu mehr als 90 Prozent aus Wasser. Sukkulenten benötigen deshalb häufigere Wasseraufnahme. Daher fehlen Kakteen, Euphorbien, Agaven und Aloe-Arten weitgehend in voll- und hyperariden Gebieten. Kakteen sind zum Sinnbild für das Überleben in Wüsten geworden. Sie sind ausschließlich in der Neuen Welt beheimatet. In afrikanischen Trockengebieten wachsen dagegen Euphorbien. Diese gehören zu den Wolfsmilchgewächsen, die gut an ihrem weißen Milchsaft zu erkennen sind. Mit der plattentektonischen Trennung Südamerikas von Afrika im Tertiär erfolgte jeweils ein eigener Evolutionspfad beider Sukkulenten.

An den großen Säulenkakteen der Sonora oder den argentinischen »Cardónes« lässt sich die Stammsukkulenz gut beobachten: Ihr meist senkrechtes Wachstum mit Rippenbildung gilt als Anpassung an die hohen Temperaturen, wobei die ziehharmonikaartig gefalteten, bedornten Rippen zur Selbstbeschattung und Kühlung dienen. Bei gutem Wasserangebot schwillt der gesamte Stamm an.

Am Rand der Wüste Namib wächst der attraktive »Kokerboom«. Der Köcherbaum (Aloe dichotoma) ist kein Baum, sondern eine Stamm- und Blattsukkulente. Die gabelig verzweigten Äste tragen Büschel dickfleischiger Blätter. Der bis zu einem Meter Durchmesser starke Stamm besteht aus faserigem Gewebe und kann große Mengen an Wasser einlagern.

Zu den Wurzelsukkulenten zählen unter anderem Asparagus- und Pachypodium-Arten (Dickfuß-Gewächse). Aus dem in der Namib verbreiteten, unförmig verdickten Stamm von Pachypodium lealii wachsen peitschenartige, dicht bedornte Äste, an deren Spitzen zierliche weiße Blüten sitzen. Die Äste ähneln dem bekannten Christusdorn (Euphorbia milii) – ebenfalls ein überzeugendes Beispiel für die Reduktion von Blättern und den perfektionierten Umgang mit Wasserknappheit.

Ephemere Sukkulenten überdauern oft lange Zeiträume als Samen. Bei hohen und zeitlich gut verteilten Niederschlägen erfolgt schnelles Wachstum und eine enorme Vergrößerung des Wasserspeichers, ohne dass die Pflanze sich besonders gegen Transpirationsverluste schützt oder viel Stützgewebe eingebaut hat. Ziel ist, eine möglichst große Zahl an Samen zu produzieren – bekannt ist das explosionsartige Auftreten von Mittagsblumen (Mesembryanthemum) in der südafrikanischen Karoo. Hierzu zählen die Lebenden Steine (Lithops) mit ihrer ausgeprägten Sukkulenz und ihrer frappierenden Standortanpassung in Form, Farbe und verborgenem Wuchs.

Bei vielen (Blatt-)Sukkulenten werden Transpirationsverluste durch einen besonderen Säurestoffwechsel gemildert (CAM/Crassulacean Acid Metabolism): Die Stomata werden nur nachts geöffnet, und dabei wird CO2 aufgenommen. Während des Tages erfolgt die Assimilation des CO2 bei geschlossenen Spaltöffnungen. Bekannte Vertreter dieser großen Gruppe von (Blatt-)Sukkulenten sind Aloe-Arten, Agaven, Bogenhanf oder Crassulaceen. Blattsukkulenten finden sich bevorzugt in Winterregengebieten mit etwas milderen Temperaturen und höherer Luftfeuchte.


SALZVERTRÄGLICHE WÜSTENPFLANZEN

Halophyten, die »Salzpflanzen«, vertragen sowohl hohe Salzkonzentrationen im Boden als auch Wassermangel. Sie können an Standorten leben, deren Salzgehalt die Menge von 0,5 Gewichtsprozent Kochsalz in der Bodenlösung übersteigt. Sogenannte obligate Halophyten können nur bei hoher Salzkonzentration wachsen. Sie sind von den fakultativen Halophyten zu unterscheiden, deren charakteristisches Merkmal eine hohe Salztoleranz ist. Derartige Pflanzen speichern viel Salz im Zellsaft; manche Arten scheiden es über Drüsen wieder aus. Andere entfernen gespeichertes Salz über das Abwerfen der Blätter. Sukkulente Halophyten, wie einige Queller-Arten, gleichen aufgenommenes Salz durch erhöhte Wassereinlagerung aus, um den Spross nicht zu schädigen. Verbreitet sind Halophyten vor allem in Salztonebenen (Salare, Sebkhas, Playas, Vleis) und brackigen Fluss-Sedimenten, am Rand von Salzseen sowie in Gebieten mit oberflächennahem Grundwasser. Die in afrikanischen Wüsten vorkommenden Tamarisken (Tamarix) können ebenfalls zu den Halophyten gezählt werden. Mit ihren Tiefwurzeln von über 15 Metern Länge erreichen sie oft das Grundwasser. Sie sind tolerant gegenüber salzhaltigen Böden, in denen sie einen breiten Wurzelteller entwickeln. Tamarisken schützen ihre Blätter – besonders während der Mittagshitze – durch eine Salzkristallschicht vor übermäßiger Verdunstung. Auch die Dattelpalme (Phoenix) ist überaus salztolerant, was ihre lange Geschichte als »Brotbaum«, als unverzichtbares Grundnahrungsmittel saharischer und arabischer Oasen-Kulturen erklärt.


WÜSTENPFLANZEN, DIE KEINE SIND

Bäume, buschige Gehölze oder Kürbisgewächse sind keine Wüstenpflanzen. Sie zählen zu den Phreatophyten und gehören eigentlich nicht zur Klimaökologie der Wüsten: Diese Pflanzen benötigen zum Überleben ganzjährig Zugang zu Wasser, selbst wenn sie ihr Laub bereits abgeworfen haben. Gleiches gilt für krautige Kürbisgewächse wie die namibischen Naras (Acanthosicyos horridus) und Tsammas (Citrullus lanatus): Sie schützen ihre Blätter gegen die Überhitzung durch stark ausgeprägte Transpiration, verbrauchen also eher viel Wasser. Kürbisgewächse sowie die Früchte von Bäumen waren für Jäger, Sammler oder nomadisierende Hirtenkulturen als Nahrungsquelle von großer Bedeutung. Ihr Vorkommen in Vollwüsten hängt jedoch von ortsfremdem Wasser ab, das durch periodische oder episodische Flussläufe aus feuchteren Randgebieten oder niederschlagsreicheren Gebirgen in die Wüsten transportiert wird. Dank ihres Wassers werden die Grundwässer in den Fluss-Sedimenten und Versickerungsbecken aufgefüllt, worauf die tiefwurzelnden Bäume und Kürbisgewächse zugreifen können. Im Landschaftsbild zahlreicher Wüsten sind die galerieartigen Baumreihen entlang der Trockenflussbetten oder der Oasen-Charakter um die Endpfannen unübersehbar. Oberflächennahes, fossiles Grundwasser ist ein weiteres wichtiges Wasserreservoir. Es stammt aus früheren klimatischen Feuchtphasen und ist die Ursache für zahlreiche natürliche Oasen auch innerhalb der saharischen Dünenfelder.


PFLANZEN IN DEN ARKTISCHEN KÄLTEWÜSTEN

Die nordpolare Kältewüste (Frostschuttzone) weist weniger als zehn Prozent Bedeckung durch dauerhafte Vegetation auf und umfasst in ihrer Gesamtfläche etwa eine Million Quadratkilometer. Diese Fläche entspricht ungefähr einem Achtel der unvergletscherten Gebiete. In dieser hohen Breitenlage wird die für Blütenpflanzen erforderliche Wärmesumme mit einer Durchschnittstemperatur von fünf Grad Celsius über zwei bis drei Sommermonate hinweg nicht erreicht. Das Julimittel liegt nur bei zwei Grad Celsius. Die Kältewüste wäre somit treffender als Wärmemangelwüste zu benennen.

Vor allem Kryptogame wie Algen und Flechten sind die Hauptproduzenten in der Kältewüste. Flechten, eine Symbiose aus Algen und Pilzen, sind in der Lage, im latenten Lebenszustand die Winterkälte mit Frosttrocknis, Austrocknung durch den Wind sowie lange Dunkelheit zu überstehen. Flechten besiedeln bevorzugt Felsoberflächen oder gröberen Schutt. Im Frühsommer profitiert die Flechtengesellschaft von der Schneeschmelze und der höheren Luftfeuchte. Die Zuwachsleistungen sind generell gering. Nur wenige Blütenpflanzenarten kommen vereinzelt in der Nordpolarwüste vor. Der kümmerliche Bewuchs ist sporadisch verteilt oder konzentriert sich unter extremsten Bedingungen lediglich auf kleine Areale – vergleichbar den hyperariden Trockenwüsten. Solche Oasen erklären sich durch relative Gunstfaktoren wie: frühe Schneefreiheit (Ausapern); das bedeutet Wärmespeicherung im Boden; relativ starke Erwärmung in der Vegetationsperiode, unter anderem in windgeschützten Senken; gute Drainage, aber anhaltendes Feuchteangebot, zum Beispiel durch Schmelzwasser aus höher gelegenen Schneewechten.

Manche Blütenpflanzen wachsen, um den Druck der Schneelast zu verteilen, in Rosetten. Andere Arten, wie die Steinbrechgewächse oder das Stängellose Leimkraut (Silene acaulis), bilden kleine, niedrige, stark verzweigte Polster zum Schutz vor Kälte oder Transpirationsverlusten. Die Polarweide (Salix polaris) schlängelt sich geduckt am Boden entlang. Ihre Ästchen werden kaum höher als vier Zentimeter. Sie kann selbst dort noch wachsen, wo besonders lange Schneebedeckung herrscht und die Vegetationszeit auf zwei bis drei Wochen verkürzt ist.

Die Reproduktion für Pflanzen der Kältewüsten ist schwierig; sie wird zum Teil durch Einlagerung von Reservestoffen im Wurzelbereich unterstützt. Bei zahlreichen Arten benötigt die Samenreife zwei Vegetationsperioden; manche unreifen Früchte entwickeln sich sogar unter der Schneebedeckung weiter. Beim Gegenblättrigen Steinbrech (Saxifraga oppositifolia) reifen Früchte nur in günstigen Jahren; beim Schneesteinbrech (Saxifraga nivalis) überwintern die Blütenknospen sogar mit einem Teil der Blätter. Einige Arten entwickeln eine große Zahl von Knospen, die sich zu unterschiedlichen Zeiten öffnen, um die fatale Wirkung von Spätfrösten zu mildern.


PFLANZEN IN DEN ANTARKTISCHEN KÄLTEWÜSTEN

Nur zwei Prozent des Kontinents Antarktika sind unvergletschert und der Kältewüste zuzuordnen. Die größten eisfreien Areale beherbergt die kontinental-klimatische Ostantarktis mit dem extrem trockenen Viktorialand, den Dry Valleys und kleineren Oasen wie Schirmacher oder Bunger. Trotz extremer Umweltbedingungen mit langem winterlichen Dauerfrost entwickelt sich in Gesteinsklüften oder Nischen im Schutt ein erstaunliches Spektrum von bis zu 20 Arten in Kryptogamen-Gemeinschaften. Selbst durch dauerhafte sommerliche Schneedecken von wenigen Zentimetern dringt genügend Licht, um für Flechten fast optimale Lebensbedingungen zu schaffen. Es wurde nachgewiesen, dass einige Flechtenarten noch bei Temperaturen unter minus zehn Grad Celsius Fotosynthese betreiben können. Das Optimum dafür liegt um die null Grad Celsius.

Bei einer Erwärmung auf über 20 Grad Celsius – bei dunklen Gesteinsoberflächen keine Seltenheit – wird die Fotosynthese durch Wasserverlust spürbar beeinträchtigt. Die Flechte bleibt zwar lebensfähig, die Austrocknung führt jedoch zur Verharrung in Anabiose. Der limitierende Faktor für die Ausbreitung von Flechten ist also – wie in den heißen Wüsten – Wassermangel. Folglich sind vor allem die Standorte besiedelt, die mit ihrem Mikroklima ausreichende Feuchtigkeit bereitstellen, um den Stoffwechsel wieder in Gang zu bringen. Der Begriff der »Oase« scheint durchaus angebracht. Mit der zunehmenden Aridität nach Osten und im Inneren des Kontinents werden diese Gunststandorte immer seltener. Entscheidend für den Wassermangel als limitierender Faktor für Pflanzen ist die sehr niedrige Luftfeuchte: Der Schnee verdunstet, statt zu schmelzen. Polwärts nimmt die Artenzahl ab; die Individuen werden kleiner und verkümmern durch Stürme und Schneedrift. Die Pflanzen wachsen bis auf eine Höhe von etwa 2500 Metern.

Eine Variante der Kältewüste findet sich auf der Antarktischen Halbinsel in der Westantarktis. Das maritime Klima hält mit Niederschlägen um 400 Millimeter pro Jahr und gutem Feuchteangebot durch Nebel und Schneeregen im Sommer die üppigsten Lebensbedingungen der gesamten Antarktis bereit. Niedere Pflanzen bestimmen das Vegetationsspektrum. Moose und Algen finden sich überall an feuchten Standorten. Prachtvolle rote oder orangefarbene Krusten-flechten (wie Xanthoria elegans oder Caloplaca regalis) sowie bizarre Strauchflechten der Gattung Usnea sind auf Gestein weit verbreitet; hinzu kommen Nabel-, Blatt- und Bartflechten. Insgesamt sollen etwa 350 Flechtenarten in der Antarktis vorkommen. Flechten besiedeln als Pionierpflanzen feste Gesteinsoberflächen, gröberen Schutt oder Gerölle. Über die Rhizinen – Hyphenstränge an der Unterseite der Flechten – abgegebene Säuren wirken an einer ersten chemischen Zersetzung des Gesteins mit und bereiten so komplexere Verwitterungs- und Bodenbildungsprozesse vor. Manche Kryptogame leben sogar endolithisch, das heißt in feinen Rissen lichtdurchlässiger Gesteine. Wie verletzlich diese Lebensgemeinschaft ist, dokumentiert sich in den geringen Zuwachsraten: Die fünf bis acht Zentimeter hohen Strauchflechten nehmen in zwei bis drei Jahrhunderten lediglich ein halbes Gramm an Trockengewicht zu. Selbst Erkundungen zu Fuß können so zu beträchtlichen Schädigungen in diesem extremen Ökosystem führen.

Nur zwei Vertreter der Blütenpflanzen haben sich in der Antarktis ansiedeln können: eine Grasart, die Antarktische Schmiele (Deschampsia antarctica) und die Perlwurz (Colobanthus quitensis). Selbst in der gemilderten Kältewüste der Antarktischen Halbinsel sind die Sommertemperaturen so niedrig – die Mittelwerte der wärmsten Monate Januar und Februar liegen bei zwei Grad Celsius –, dass der Wärmemangel und die oft erst spät abgeschlossene Schneeschmelze weiteren höheren Pflanzen bisher im Wege standen. Die Bioproduktion des Raumes reicht nicht aus, um pflanzenfressende Tiere zu ernähren; es fehlt eine terrestrische Nahrungskette.