Leben in der Wüste

Die Pflanzen der Wüsten


Bei Pflanzen ist in Wüsten ähnlich wie bei Tieren die Artenzahl deutlich herabgesetzt. So kennt man in der Sahara nur 1.400 Pflanzenarten, ein Wert, der im tropischen Regenwald bereits auf wenigen Quadratkilometern erreicht wird. Vegetationsarmut oder gar Vegetationslosigkeit kennzeichnet Wüsten. Das Vorkommen oder Verschwinden bestimmter Pflanzen ist neben klimatischen Grenzwerten ein zuverlässiger Indikator für die Abgrenzung von Wüsten. So lässt sich die Nordgrenze der Sahara durch das Vorkommen der Halfa-Graspolster und die Südgrenze der Sahara durch das Auftauchen des Cram-Cram-Grases bestimmen.
Hauptfeinde des Lebens in der Wüste sind Wasserarmut und extreme Temperaturen. Sie schränken das Leben in der Wüste im Allgemeinen und das der Pflanzen im Besonderen ein. Da Pflanzen, anders als Tiere, nicht die Möglichkeit haben, eine Wasserstelle anzufliegen, in regenreichere Gebiete abzuwandern oder einen Schattenplatz aufzusuchen, sind sie stärker als Tiere gezwungen, sich den extremen Umweltbedingungen anzupassen und Strategien zum Überleben zu entwickeln. Die wichtigsten sind im Folgenden beschrieben. Ferner drei typische Wüstenpflanzen – eine weitergehende Schilderung der Pflanzenwelt der Wüsten würde den Rahmen dieses Buches sprengen.
Zuallererst gefährdet Wassermangel die Pflanzen. Er stört die Assimilation und Photosynthese und schädigt das Protoplasma, indem er Deformationen der Zellwände hervorruft. Wenn die Pflanze nicht rechtzeitig wieder Wasser bekommt, ist der Schaden irreversibel. Pflanzen trocknen in Wüsten aus zwei Gründen aus: Sie erhalten aus Niederschlägen oder aus dem Grundwasser nicht ausreichend Wasser, und sie unterliegen der für Wüsten typischen hohen Verdunstung.
Neben Wassermangel bedrohen hohe Luft- und Bodentemperaturen ihr Überleben. Wenn auch Pflanzen in dieser Hinsicht etwas resistenter als Tiere sind, stellen Temperaturen von über 50º C für Pflanzen doch eine Bedrohung dar, denn es kommt zu einer Koagulation des Protoplasmas. Auch der hohe Salzgehalt vieler Wüstenböden schränkt das Pflanzenwachstum ein, wenngleich manche Pflanzen – die Halophyten – sich darauf eingestellt haben.

Gibt es in den Wüsten der Erde abiotische Gebiete, in denen also weder Tiere noch Pflanzen leben? In der Tat sind in der Sahara (Libyschen Wüste, Tanezrouft) und in der iranischen Wüste Lut hunderttausende von Quadratkilometern ohne sichtbaren Pflanzenwuchs. Dennoch existieren dort anders als auf dem Mond Spuren von Leben. In der Nähe des südalgerischen Grenzortes In Guezzam wurden Bodenproben untersucht, und es zeigte sich, dass ein Gramm Boden neben 10.000 Bakterien 3.300 Pilzsporen enthielt. In manchen Wüsten wurden bis zu 10 Millionen Mikroorganismen pro Gramm Boden nachgewiesen.

Obwohl es auf den ersten Blick scheint, dass die Flora der derzeitigen, auf der ganzen Erde verstreuten Wüsten große Unterschiede aufweist, sind doch Gemeinsamkeiten zu erkennen. Dies deutet entweder auf eine gemeinsame Herkunft hin, vielleicht aus einer Zeit, als die Kontinente noch zusammen waren, kann aber auch darauf zurückzuführen sein, dass unter dem selektiven Druck gleicher Faktoren überall ähnliche Formen und Strategien entstanden sind. Wie bei der Fauna spricht man dann von Konvergenz. Die afrikanische Drachee mit einem Büschel Blätter am oberen Ende des Stammes erinnert beispielsweise an die amerikanischen Yuccas.
Würde in der Sahara ausreichend Regen fallen, dauerte es nicht lange, und sie ähnelte den Savannen Ostafrikas. Wasser steht den Pflanzen in der Wüste aber nur sehr beschränkt zur Verfügung – entweder in Form von Niederschlag oder von Grundwasser. Weil der Regen oft nur wenige Zentimeter in den Boden einsickert, nehmen die Pflanzen das Niederschlagswasser durch ein oberflächennahes, weit verzweigtes Wurzelsystem auf. Wie viel Regenwasser die Pflanzen erhalten, ist von der Art des Untergrunds abhängig. Sand ist nur scheinbar trocken, in Wirklichkeit aber ein guter Wasserspeicher, da niedergehender Regen nicht sturzbachartig abläuft, sondern vom Sand wie von einem Schwamm aufgesogen wird. Zwar trocknet eine dünne Sandschicht an der Oberfläche ab, in der Tiefe wird das aufgenommene Wasser aber gespeichert, denn die großen Poren des Sandgefüges verhindern ein kapillares Aufsteigen und damit auch das Verdunsten an der Oberfläche. Dünen sind also gute Wasserspeicher. Bereits 50 mm Niederschlag pro Jahr reichen aus für ein bescheidenes Pflanzenwachstum, während auf dichten Tonböden mindestens 400 mm fallen müssen. Wenn das Pflanzenleben in Dünen trotzdem spärlich ist, liegt das an den instabilen Geländeverhältnissen. Hier behaupten sich vor allem Gräser, und zwar dank der Ausbildung extrem langer Wurzeln.

Die Bäume der Wüste sind weniger vom Regenwasser als vom Grundwasser abhängig, das sie mit ihren Wurzeln erreichen müssen. Ein junger Baum kann nur wachsen, wenn mehrere klimatisch günstige Jahre aufeinander folgten und die Sämlinge mit Wasser versorgt werden konnten. Sollte er nicht zwischenzeitlich dem Viehfraß zum Opfer gefallen sein, kann er endgültig Fuß fassen, wenn er es schafft, dass seine Wurzeln den Grundwasserspiegel erreichen. Wenn dieser nach regenarmen Jahren oder infolge menschlicher Eingriffe sinkt, stirbt der Baum. Beim Graben des Brunnens am berühmten Arbre du Ténéré, einer Akazie, fand man noch in 35 m Tiefe dessen Wurzeln. Der Blick vom Flugzeug auf die Wüste zeigt, dass Bäume nicht willkürlich in der Wüste stehen. Sie wachsen entlang der Grundwasserströme, die oftmals Trockenflusstälern folgen. Der Wassermangel bedingt langsames Baumwachstum. Die meisten dickstämmigen Bäume sind über 100 Jahre alt.


EPHEMEREN

Der berühmte Film »Die Wüste lebt« von Walt Disney verleitet zu der Annahme, dass ein einziger Regenschauer die Wüste in ein Blumenmeer verwandeln könne. Doch haben viele Pflanzen beim Auskeimen Strategien entwickelt, um genau dies zu verhindern. Keimungshemmende Stoffe in der Samenschale stellen sicher, dass die Samen erst dann zum Leben erwachen, wenn ausreichender Regen diese Stoffe herausgewaschen und gleichzeitig den Boden so gründlich durchfeuchtet hat, dass die Pflanzen ihren Lebenszyklus nicht nur beginnen, sondern mit der Samenbildung auch wieder beenden können. Dazu sind 15 bis 20 mm Niederschlag pro Jahr erforderlich. Erst bei lang anhaltenden Regenfällen kommt es zum Phänomen der blühenden Wüste. Viele Quadratkilometer weit erstreckt sich dann ein Meer von Jungpflanzen, und es wird offenbar, wie viele Samen eigentlich im Boden ruhen.
Pflanzen, welche die Fähigkeit besitzen, unter günstigen Bedingungen rasch zu keimen und ihren Vegetationszyklus in kurzer Zeit abzuschließen, werden Ephemeren genannt. Ihre Produktivität dient also hauptsächlich der Bildung neuer Samen, die bis zur nächsten Feuchtigkeitsperiode im Sand verharren. Manche Ephemeren erzeugen eine große Anzahl Samen, die sich ineinander verfangen und eine Art Kugel bilden, die der Wind in der Wüste verteilt. Andere Pflanzen erzeugen Samen mit Haaren oder Widerhaken, die sich im Beinfell weidender Tiere verfangen und so verbreitet werden.


GEOPHYTEN

Eine andere Überlebensstrategie verfolgen die als Geophyten bezeichneten Zwiebelpflanzen. Mit ihrer Zwiebel, die in 20 bis 30 cm Tiefe vor Temperaturschwankungen weitgehend geschützt im Boden steckt, besitzen sie ein Speicherorgan für Wasser und Nährstoffe. Sobald Feuchtigkeit in diese Tiefe dringt, treibt die Zwiebel aus und bildet Blätter und Blüten an der Erdoberfläche. Auch hier bleibt der Wachstumsperiode nur eine kurze Zeitspanne: Die Zwiebel muss mit den für das Austreiben verbrauchten Nährstoffen gefüllt werden, die Samen müssen ausgebildet werden, und wenn die Trockenheit einsetzt, werden noch Nährstoffe aus den verwelkten Blättern zurück in die Zwiebel geschafft.


MORPHOLOGISCHE ANPASSUNGEN

Die extremen Klimabedingungen in Wüsten haben bei vielen Pflanzen auch zahlreiche Anpassungen in der Bauweise hervorgebracht. So schränken sie z. B. die Blattoberfläche ein oder sie halten die Blätter klein – manchmal so klein, dass sie gar nicht als solche zu erkennen sind –, um Wasser zu sparen. Oder der Spross und einzelne Stängelabschnitte enthalten schon das für die Assimilation und die Umwandlung von Kohlendioxid zu Zucker notwendige Chlorophyl und übernehmen damit die Rolle der Blätter. Sind kleine Blättchen vorhanden, so weisen diese oft einen derben, wasserdichten Überzug auf, der den Wasserverlust des Blattes weiter einschränkt. Oft werden die Blattränder eingerollt, so dass sich die verdunstende Blattoberfläche verringert. Manchmal wird die Blattspitze zu einem Stachel umgebildet.


DORNEN UND GIFT

Eine Anpassung an das Klima garantiert nicht das Überleben, denn die Gefahr, gefressen zu werden, ist gerade in Regionen mit spärlicher Vegetation erheblich. Es ist von Vorteil, Dornen zu haben oder schlecht zu schmecken. Viele Wüstenpflanzen besitzen daher Dornen und Stacheln. Sie bieten aber nur begrenzten Schutz, denn Kamele und Ziegen fressen die Pflanze trotzdem. Dass sie schlecht schmeckt, schreckt auch nicht immer ab, so dass die Pflanze erst dann geschützt ist, wenn sie sich als giftig erweist. Wenn inmitten abgefressener Graspolstern üppig grüne Sträucher stehen, sind diese sicher giftig. Auf diese Weise können sich Giftpflanzen ausbreiten – die Konkurrenten verschwinden durch Viehfraß.


SCHMAROTZERPFLANZEN

Zu den schönsten Wüstenpflanzen gehören die Schmarotzerpflanzen. Sie besitzen mächtige, bis zu einem Meter hohe, gelbe oder prächtig violette Blütenstände, die direkt aus der Erde hervorbrechen. Sie zapfen die Versorgungsleitungen in den Wurzeln anderer Pflanzen an und entnehmen ihnen das, was sie benötigen. Ihre Fortpflanzung ist problematisch. Da eine Schmarotzerpflanze selbst kein Chlorophyll ausbildet, kann sich auch der Keimling nicht selbst ernähren, so dass er zum Auskeimen mit einer passenden Wirtswurzel in Verbindung kommen muss.


SUKKULENTEN

Pflanzen, die Wasser über lange Zeit hinweg in besonders großzelligem Grundgewebe speichern können, nennt man Sukkulenten. Je nach Lage des Wasser speichernden Gewebes unterscheidet man zwischen Blatt-, Stamm- und Wurzelsukkulenz. Sukkulenten sind auf regelmäßige Niederschläge angewiesen, so dass in hyperariden Wüsten wie der Sahara sukkulente Pflanzenarten weitgehend fehlen. Die Aloen und Agaven mit ihren fleischig verdickten Blättern gehören zu den Blattsukkulenten, Kakteen besitzen dagegen eine ausgeprägte Stammsukkulenz.
Ein Trick der Sukkulenten besteht darin, dass sie während der heißen Tageszeit die Spaltöffnungen der Blätter dicht halten, um kein Wasser zu verlieren. Während dieser Zeit können die Pflanzen nicht das für das Wachstum lebensnotwenige Kohlendioxid aus der Luft aufnehmen. Sie tun dies in der Nacht, wenn es in der Wüste kalt wird und keine Gefahr der Austrocknung besteht. Weil das Kohlendioxid nachts wegen des fehlenden Sonnenlichts aber nicht weiterverarbeitet werden kann, wird es in Form einer organischen Säure im Gewebe gespeichert. Wenn am Morgen die Temperaturen steigen, schließt die Pflanze wieder die Spaltöffnungen wieder. Durch den Rückgriff auf den nachts angelegten Kohlendioxidspeicher kann sie aber trotzdem Photosynthese betreiben.


SAGUARAO-KAKTUS

Kaum eine Pflanze ist typischer für eine Wüste als der Saguaro für die nordamerikanische Sonora. Er kann mehrere hundert Jahre alt werden, die ersten Arme zweigen sich nach 75 Jahren ab, im Alter von 150 bis 200 Jahren ist er dann 15 Meter hoch, wiegt über zehn Tonnen und produziert bis zu 50 Arme.
Der Stamm enthält bis zu mehreren tausend Litern Wasser und wird durch kreisförmig angeordnete, vertikale Rippen zusammengehalten. Bei heftigem Regen dehnen sie sich wie ein Akkordeon aus und speichern so viel Wasser wie möglich. Die großen weißen Blüten öffnen sich in einer einzigen Nacht im Mai oder Juni, um Fledermäuse, die Bestäuber, anzulocken. Ein Saguaro produziert im Laufe seines Lebens bis zu 40 Millionen Samen, von denen aber vielleicht nur ein einziger das Erwachsenenalter erreicht. Die meisten werden von Vögeln gefressen. Keimlinge des Saguaro werden häufig von Ammenpflanzen umgeben, ohne die ein Keimling den extremen Bodentemperaturen von bis zu 70º C schutzlos ausgeliefert wäre. Die Ammenpflanzen konkurrieren zwar um das Wasser, ihre abgefallenen Blätter spenden aber wieder Nährstoffe. Je größer ein Kaktus wird, desto mehr nimmt sein Wasser speicherndes Volumen im Vergleich zur Oberfläche zu, so dass er immer längere Dürrezeiten ertragen kann. Gleichzeitig wird die wachsige, wasserdichte Schicht immer dichter, was den Wasserverlust immer weiter reduziert. Der Saguaro ist daher weniger von Wassermangel als vielmehr Frost und Blitzschlag, Viehhaltung, Luftverschmutzung und die Zerstörung des Lebensraums bedroht.


DATTELPALME

Neben dem Kaktus stellt die Dattelpalme (Phoenix dactylifera) die bekannteste Pflanze der Wüste dar. Sie benötigt eine mittlere Jahrestemperatur von 21º C, ist relativ salztolerant und auf ausreichende Bewässerung bzw. Grundwasser angewiesen. Diese Eigenschaften machen sie zur typischen Nutzpflanze in den Oasen des Altweltlichen Trockengürtels. Ihre Früchte sind in ihrer Bedeutung als Grundnahrungsmittel für die einheimische Bevölkerung mit der Kartoffel in Mitteleuropa zu vergleichen. Die Qualitäten reichen von der nach Europa als Konfekt exportieren Sorte »Deglet Nour« bis hin zu Früchten, die sich nur als Nahrung für Kamele und Esel eignen.
Bei der Dattelpalme gibt es männliche und weibliche Bäume. Auf letzteren reifen die Dattelfrüchte. In Palmenhainen pflanzt man unter 50 weiblichen Palmen nur eine männliche, die völlig ausreicht, um mit ihrem Blütenstaub die weiblichen Blüten zu befruchten. Drei bis sieben Jahre nach dem Keimen trägt die Palme Früchte. Eine Palme kann bis zu 200 Jahre alt werden, ihr Ertragsoptimum liegt zwischen dem 40. und 80. Lebensjahr. Bis zu 150 kg Datteln können im Jahr, zwischen August und Dezember, geerntet werden.


WELWITSCHIA MIRABILIS

Eine botanische Besonderheit ist die Welwitschia mirabilis. Sie kommt ausschließlich in der Nebelzone der Namibwüste vor, ist also endemisch. Der Nebel führt der Pflanze Feuchtigkeit zu, indem er sich an den langen Blättern niederschlägt und von dort in den Sand tropft. Das feine Wurzelwerk nimmt dann die Feuchtigkeit aus dem Boden auf. Die Welwitschia gilt als typische Wüstenpflanze, vegetationsgeographisch gesehen stammt sie aber aus der humideren Savanne. Um auszukeimen und ein Wurzelwerk zu entwickeln, das die geringe Feuchte der Wüste auszunutzen versteht, braucht die Welwitschia mindestens acht bis zehn Jahre lang ausreichend Wasser. Wenn Welwitschiae auch keine Jahresringe bilden, ist doch erwiesen, dass einige Exemplare 500 Jahre alt sind. Die Welwitschia überlebt nicht zuletzt auch deshalb so lange in der Wüste, weil ihre Blätter kaum genießbar sind. Selbst anspruchlose Wüstentiere wie die Wüstenzebras oder Gemsböcke knabbern nur im Notfall daran.