Im Volksmund werden Wüsten oft für ausgetrocknete Meere gehalten. Die Salzseen und Sandflächen mögen hierzu ebenso beitragen wie die ozeanischen Ausmaße mancher Wüsten. Tatsächlich gibt es Wüsten in Gebieten, wo früher einmal Meere waren – beispielsweise in der aralo-kaspischen Senke. Das Faktum, dass sich dort nun die Karakum- und die Kysilkumwüste befinden, hat aber nichts damit zu tun, dass einst ein Meer das Becken bedeckte. Vielmehr sind es Verwitterung und Abtragung, welche die heutigen Landschaftsformen geschaffen haben. Wenn es in diesem Kapitel um die Verwitterungs- und Abtragungsprozesse in den heutigen Wüsten geht, muss man im Auge behalten, dass das Großrelief der Wüsten nicht unter ariden Bedingungen entstanden ist. Schichtstufen, die großen Trockenflusstäler, und selbst die Ergs sind so genannte Altformen. Sie stammen aus feuchteren bzw. aus windreicheren Zeiten und wurden später lediglich überformt. Es ist allerdings nicht immer leicht, aktuelle Prozesse von solchen zu unterscheiden, die längst beendet sind, die Landschaft aber geprägt haben.
Zum besseren Verständnis beginne ich mit den Begriffen »Verwitterung« und »Abtragung«: Unter Einfluss von Kräften, die von außen wirken, wird festes Gestein an der Erdoberfläche langsam, aber stetig gelockert, aufbereitet und zerstört. Diesen Prozess bezeichnet man als Verwitterung. Dabei wird zwischen physikalischer und chemischer Verwitterung unterschieden. Dagegen bezeichnet Abtragung die Summe einer Vielzahl räumlich und zeitlich getrennter oder in unterschiedlichem Ausmaß zusammenwirkender Einzelvorgänge, die an die Schwerkraft gebunden sind. Abtragung findet in erster Linie durch fließendes Wasser, Wind und Gletscher statt. Man unterscheidet zwischen der Erosion, die linienhaft stattfindet, und der Denudation. Hierbei handelt es sich um flächenhafte Abtragung, welche auf unterschiedlichste Art und Weise erfolgt. In Wüsten spielt die äölische Abtragung (also durch den Wind) eine entscheidende Rolle.
Doch zunächst zur Verwitterung. Hier wird zwischen mechanischer und chemischer Verwitterung unterschieden. Mechanische Verwitterung führt zur Zertrümmerung des Gesteins ohne stoffliche Veränderung der Mineralbestandteile. Chemische Verwitterung führt dagegen zur Auflösung wasserlöslicher Mineralien oder zur Umwandlung wasserunlöslicher Mineralien in weitgehend lösliche Substanzen. Letztere tritt, da es in Wüsten an Wasser mangelt, gegenüber der mechanischen Verwitterung zurück, spielt aber dennoch eine Rolle.
Zur mechanischen Verwitterung gehört die Insolationsverwitterung, auch Temperaturverwitterung genannt. Die in Wüsten häufig sehr hohen Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht führen zu Spannungsgegensätzen, Lockerung des Mineralgefüges und allmählichen Gesteinszerfall.
Die Salzverwitterung beruht auf der Volumenzunahme von Salzen. Sie wird durch thermische Ausdehnung, durch Kristallwachstum und durch Hydratation (Absorption von Wasser) bewirkt. Die Hydratation stellt eine Mischform von physikalischer und chemischer Verwitterung dar und ist in Küstenwüsten aufgrund der dort herrschenden hohen Luftfeuchtigkeit häufig anzutreffen. Auskristallisierende Salze sind die Ursache dafür, dass das Gesteinsgefüge sich lockert: Im Wüstenklima wasserfrei auskristallisiert, nehmen die Salze bei ansteigender relativer Feuchte und gelegentlichen Regenfällen Wassermengen auf und wandeln sich zu Hydraten um, wobei sich ihr Volumen um 30 bis 100 Prozent vergrößert.
Viele Phänomene, welche die ältere Forschung auf die Insolationsverwitterung zurückführte, gehen also höchstwahrscheinlich auch auf das Konto der Salzverwitterung. Das gilt nicht zuletzt auch für Kernsprünge, die gewaltige Felsen teilen können.
In nicht allzu trockenen Gebieten existiert eine besondere Form der Verwitterung: die schalenförmige Abschuppung oder Desquamation, eine Folge der extremen Temperaturgegensätze bei Tag und Nacht auf den Gesteinsoberflächen, wobei sich Schuppen oder Schalen in der Größe einiger Millimeter bis weniger Zentimeter absondern. Neuere Forschungen haben ergeben, dass hieran auch Mikroorganismen beteiligt sind.
Die Abschalung meterdicker, oberflächenparalleler Platten von Granitdomen ist hingegen auf die Druckentlastung zurückzuführen, die sich einstellte, als darüber lagerndes Material abgetragen wurde – ein Vorgang, der sich über Jahrmillionen hinzieht.
Oftmals kann man in Wüsten Felsen mit Aushöhlungen beobachten, den Tafonis. Sie verdanken ihre Entstehung der so genannten Schattenverwitterung. Im Schatten führt länger andauernde Feuchtigkeit zu intensiverer chemischer Verwitterung und damit zur Aushöhlung. Der Prozess unterliegt einer Eigendynamik: Je tiefer die Tafonis in das Gestein hineinwittern, desto größer werden die beschatteten Flächen.
Wüstenlack, eine besonders charakteristische Erscheinung der Trockengebiete, ist das Ergebnis chemischer Verwitterung, die vom Innern des Gesteins nach außen wirkt und daher Kernverwitterung heißt. Die dünnen Häute von Mangan, Eisen oder Kieselsäure überziehen lackartig glänzend das Gestein. Die Politur, die den Wüstenlack auszeichnet, ist eine Folge des Windschliffs.
Obwohl man den Prozess der Verkarstung mit gemäßigten Klimazonen verbindet, ist er auch in Wüsten zu beobachten. Er findet im Mikrobereich durch Taufall statt. Daneben kommt so genannter Thermokarst in nicht kalkhaltigen Gesteinen vor und schafft oft spektakuläre Landschaften wie das Tassili de Hoggar im Süden Algeriens.
Bei der Abtragung unterscheidet man zwischen der Erosion, der linienhaften Abtragung, und der Denudation, der flächenhaften Abtragung. »Erosion« wird im anglophonen Sprachraum wie auch im umgangssprachlichen Deutsch ziemlich unscharf gebraucht. Uns geht es aber um den wissenschaftlich eindeutig definierten Begriff. Zunächst zu der Erosion, die sowohl in den früheren Feuchtphasen als auch heute auf das Landschaftsbild der Wüsten einwirkte und es in wesentlichen Teilen prägte und prägt.
Die großen Talsysteme der Wüsten erhielten ihr heutiges Aussehen – auch wenn sie schon in früheren Zeitaltern existierten – vorwiegend im ausgehenden Tertiär und im Pleistozän. Sie verändern sich jetzt nur noch in geringem Maße durch episodische Regenfälle. In Gebieten mit starker Windwirkung und hohem Sandaufkommen kann es aber jederzeit passieren, dass solche Talsysteme vollständig unter Sand begraben werden. Das berühmte Wadi Howar, ein mit dem Nil vergleichbares Flussbett, wurde – wie Satellitenbilder zeigen – an seinem Unterlauf über eine Strecke von 400 km ausgelöscht.
Kommt es heute in ariden Gebieten zu Niederschlägen, fallen diese meist als Starkregen. Fehlende Vegetation, verkrustete Oberflächen oder Gesteinsoberflächen bewirken, dass ein Großteil der Niederschläge nicht versickert, sondern an der Oberfläche abfließt. Die Wadis laufen schnell mit Wasser voll, das rasante Fließgeschwindigkeiten entwickelt und so erhebliche Erosionswirkung entfaltet. Daher sind die Auswirkungen der Erosion in Wüsten oftmals augenfälliger als die der Windabtragung.
Äolische Abtragung (Windabtragung) spielt in Wüsten vor allem deshalb eine große Rolle, weil nur eine spärliche Vegetation die Erdoberfläche bedeckt. Windabtragung kann das Landschaftsbild auf dreierlei Weise beeinflussen: durch Deflation, Korrasion und Akkumulation. Alle drei Prozesse gehören zusammen, denn ein Sandkorn, das der Wind aufnimmt, lagert er auch wieder ab. Demzufolge müssten an dieser Stelle auch die Formen der Akkumulation erläutert werden. Da jedoch die Resultate dieser Akkumulation, nämlich Dünen und Draas, zentrale Landschaftsformen der Wüsten darstellen, sind sie im nächsten Kapitel beschrieben.
Deflation, das Ausblasen von Gesteinsmaterial, spielt bei der Ausbildung der ariden Landschaftsformen eine erhebliche Rolle. Durch Ausblasung von Lockermaterial, das aufgrund von Verwitterung zur Verfügung steht, entstehen nicht nur Deflationswannen, sondern auch die weit verbreiteten Wüstenpflaster, die je nach Material Hammadas oder Serir genannt werden. Mit dem Feinmaterial, das der Wind bei der Deflation aufnimmt, kann er schleifen, wobei größere Körner wie ein Sandstrahlgebläse wirken. Wenige Dezimeter über dem Boden wirkt die Korrasion, die Abschleifung, am stärksten, wie die Form der Pilzfelsen eindrucksvoll beweist. Korrasion führt auch zur Entstehung der so genannten Windkanter, die in Ein- und Dreikanter unterschieden werden. Der Anteil der Windkanter lässt Schlüsse auf die Windstärken zu.
Die spektakulärste der durch Korrasion entstandenen Landschaftsformen sind die Yardangs. Das Wort aus der uigurischen Sprache beschreibt stromlinienförmige Körper mit breitem Luv und schmalen Lee. Sie können nur wenige Zentimeter klein oder auch so groß sein wie ein Haus. Das durchschnittliche Längen-Breitenverhältnis beträgt in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Strömungsmechanik vier zu eins. Große Yardang-Felder heißen im Iran Shar Lut, also »Wüstenstädte«.
Zwischen der Deflation bzw. Korrasion und der Akkumulation des Sandes liegt sein Transport durch den Wind. Hier unterscheidet man drei Transportformen: die Suspension, die Saltation und die Reptation. Das feinste bei Deflationsvorgängen aufgenommene Material wird als Staub suspendiert (die Grenze zwischen Sand- und Staubwind liegt bei 1/16 mm Korndurchmesser) und kann daher lange in der Atmosphäre verbleiben und weit transportiert werden. Saharastäube fallen bis nach Europa und Nordamerika. Fallen Stäube in aride Gebiete, werden sie erneut fortgeblasen. Nur wo dies durch Feuchte oder Vegetation verhindert wird, kommt es zur Sedimentierung (Ablagerung). Daher liegen die großen Lößlandschaften am Rand von Trockengebieten. In China erreicht die Sedimentstärke des Löß beispielsweise 1.200 m! Da dort aktuell pro Jahr 1,2 mm abgelagert werden, war die Zeit von einer Million Jahren notwendig, um diese Stärke zu erreichen. Wenn bei Deflation grobes Material bewegt wird, wird es über den Boden gerollt, eine Bewegung, die als Reptation bezeichnet wird. Die dritte Transportart stellt die Saltation dar, das Springen von Sandkörnern. Sie ist die einzige, die zu größeren Vollformen führen kann, nämlich zu Dünen, und ihr kommt daher die größte Bedeutung zu.
Sandakkumulation findet statt, sobald der Wind nicht mehr kräftig genug ist, die Körner durch Saltation und Reptation voranzutreiben. Windrippel sind die kleinsten Akkumulationsformen. Sie überziehen Sandoberflächen, über die gleichmäßig wehende Winde hinwegstreichen. Ihre Wellenlängen liegen zwischen wenigen Zentimetern und 5 m, ihre Höhen erreichen 50 cm. Reptation ist der entscheidende Transportmechanismus. Bei Akkumulationskörpern, deren Wellenlängen zwischen 5 und 500 m liegen, spricht man von Dünen. Allen Dünen ist gemeinsam, dass ständig an der steilen Leeseite vorgeschüttet wird und sich ein Schüttungswinkel von 30º bildet. Dazu mehr im nächsten Kapitel.
Zusammenfassend – und für manch einen vielleicht überraschend – ist festzustellen, dass der Wind, wenn es um die Gestaltung der heutigen Landschaftsformen der Wüsten geht, gegenüber dem Wasser eine zweitrangige Rolle spielt. Das Wasser hat die wesentliche Arbeit wie Erosion, Freisetzen und Transport von Sand, Eingraben von Tälern geleistet. Der Wind hat dann allerdings die Feinarbeit vollbracht, indem er die Oberfläche durch Deflation, Korrasion und Akkumulation geformt hat.
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