Der Wüstenbegriff
Den Begriff »Wüste« zu definieren ist ein schwieriges Unterfangen. Im frankofonen und anglofonen Sprachraum bedeutet das Adjektiv »désert« bzw. »desert« nichts anderes als »vom Menschen verlassen« und hat keinen Bezug zu Niederschlagsmangel und Trockenheit. Ähnliches gilt für die deutschen Begriffe »wüst« und »verwüstet«. Wenn Wüste einfach Leere meinte, könnte es viele Landschaften geben, für die dies zutrifft.
Die Geografie liefert genauere Definitionen, z. B.: »Wüste ist ein Gebiet, das infolge geringfügiger oder gar fehlender Niederschläge nur eine sehr geringe Vegetation mit erheblichen Zwischenräumen aufweist.« Für Théodore Monod (1902–2000), den großen französischen Wüstenforscher, sind Wüsten »Regionen, wo das Klima Aridität verursacht, wo mangels ausreichender Feuchtigkeit der Pflanzenbewuchs zurückweicht, sich in vereinzelte Flecken zurückentwickelt und an der Grenze verschwindet und wo dann dementsprechend an die Stelle der chemischen Veränderung des Gesteins die mechanische Veränderung tritt«. An anderer Stelle schreibt er: »Die Trockengebiete der Erde sind jene, wo als Folge von ungenügend Wasserquellen die Pflanzendecke und die Böden in zu geringem Maß vorhanden sind, um einen wirksamen Schutz des Gesteins gegen atmosphärische Tätigkeiten zu gewährleisten.« Daraus ergeben sich für Monod folgende Merkmale einer Wüste: schrittweiser Rückgang der Pflanzendecke, Desorganisation einer bestenfalls episodischen Hydrographie, die nur in Resten vorhanden ist und meist in geschlossene Becken mündet, Tendenz zur Konzentration von Ansiedlungen, Auftreten von morphogenetischen Prozessen eigener Art, die bestimmte charakteristische Formen hervorbringen (z. B. Dünen).
Trotzdem bleibt der Begriff »Wüste« ungenau, beschreibt er doch so unterschiedliche Landschaften wie die vegetationslose Tanezrouft-Ebene und die baumbestandene Kalahari. Hinzu kommt, dass der amerikanische Wüstenbegriff sich deutlich vom europäischen unterscheidet. Das englische Wort »desert« wird beinahe für alle trockenen Gebiete verwendet, sofern sie nicht landwirtschaftlich nutzbar sind. Die unterschiedliche Definition erklärt sich aus der Tatsache, dass die nordamerikanischen Wüsten bei Weitem nicht die Aridität der Sahara erreichen, die für Europäer als Wüstenmaßstab gilt.
Théodore Monod beklagte zu Recht das Fehlen eines Wortes, das Gebiete beschreibt, die eigentlich keine Wüste sind, in den Atlanten und im Volksmund aber so genannt werden. Auf der anderen Seite musste ich auf meinen Reisen durch die Wüsten der Erde immer wieder feststellen, dass es zahlreiche Gebiete gibt, die Wüste sind, aber nicht als solche bezeichnet werden. Wer spricht schon von der Wüste Ladakh, obwohl das Land im Lee des Himalaja-Hauptkamms nicht einmal 100 Millimeter Niederschlag pro Jahr erhält?
Nachfolgend versuche ich, dem gesamten Spektrum gerecht zu werden, verstehe aber Wüsten immer im Sinn von Trockenwüsten. Die Vulkanwüsten Islands beispielsweise kann man nicht zu den Trockenwüsten rechnen, da ihr Wüstencharakter nicht auf das Klima, sondern auf die Durchlässigkeit des Bodens zurückzuführen ist. Man spricht hier von edaphischen Wüsten. Schwieriger liegt der Fall bei den polaren Wüsten. Ihr Wüstencharakter hat nämlich zwei Ursachen: mangelnde Wärme und Wassermangel. Letzterer zeigt sich bei den Niederschlagswerten: In Nordgrönland fallen zum Teil unter 50 Millimeter Niederschlag pro Jahr, in der Antarktis erhält über die Hälfte des Kontinents unter 60 bis 100 Millimeter, am Südpol liegt die jährliche Niederschlagsmenge zwischen 20 und 50 Millimeter. Die jährliche Verdunstung liegt bei niedrigen Werten um 50 Millimeter und ist damit oft geringer als der Niederschlag. Dieses Verhältnis ist beispielsweise in der Sahara umgekehrt. Mancherorts übertrifft dort die potenzielle Verdunstung den Niederschlag sogar um ein Tausendfaches. Mehr zu edaphischen und polaren Wüsten unter Planet Wüste.
Die Trockenwüsten der Erde haben unter Einbeziehung der Halbwüsten (semiarider Gebiete) eine Fläche von 45 bis 50 Millionen Quadratkilometer, das sind 33 bis 36 Prozent der gesamten Landoberfläche. Sie stellen damit die flächenmäßig größte Naturlandschaftszone der Erde dar; in Afrika sind beispielsweise 76,5 Prozent der nördlich des Äquators gelegenen Landfläche als Wüste oder Halbwüste einzustufen.
Zur Abgrenzung und Gliederung der Wüsten gibt es unterschiedliche methodische Ansätze. Als die wesentlichen Merkmale einer Wüste wird der Klimageograf die Regenarmut über das ganze Jahr hinweg und die gleichzeitig hohen Temperatur- und Verdunstungswerte herausstellen; der Vegetationsgeograf wird die Wüste dort abgrenzen, wo größere Flächen auftreten, die keine Dauervegetation mehr aufweisen; der Hydrogeograf wird in der ganzjährig negativen Wasserhaushaltsbilanz und im Abflussregime mit Ausbildung von Endseen wichtige hydrologische Kennwerte einer Wüste sehen. Und der Geomorphologe wird die Wüste anhand bestimmter Reliefmerkmale abgrenzen. So ist es nicht verwunderlich, dass die Wüstengrenzen der verschiedenen Wissenschaftler oftmals nicht übereinstimmen. Andererseits liegen die Grenzlinien aber nicht sehr weit voneinander entfernt und zeigen gewisse Übereinstimmungen.
Allein für die klimatische Definition und Abgrenzung der Trockengebiete ist eine ganze Reihe unterschiedlicher Trockengrenzformeln entwickelt worden – von einfachen Niederschlags-/Verdunstungsbilanzen bis hin zu komplizierten Ariditätsformeln. Sie alle leiten mithilfe des Niederschlags/Temperatur- oder Verdunstungsverhältnisses hydrothermische Indizes ab, um den Grad der Aridität numerisch zu bestimmen. Beispielsweise zieht die Köppensche Klimaklassifikation – sie klassifiziert Klimazonen nach Buchstaben und nennt Wüstenklimate als »BW-Klimate« – die Trockengrenze dort, wo die Jahresniederschlagsmenge doppelt so hoch wie die Jahresmitteltemperatur ist, sofern der Niederschlag im Winter fällt. Bei Sommerregen wird dem doppelten Temperaturwert noch ein Korrekturfaktor von 28, bei ganzjährigem Niederschlag von 14 hinzugefügt.
All diese Verfahren können nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine globale Ariditätsformel bislang nicht existiert und Wüstengrenzen daher genauso wenig deckungsgleich sind, wie Klassifikation von Wüsten übereinstimmen. Trotz dieser Probleme gibt es aber Kriterien, die es erlauben, die Wüstengebiete in arid, semiarid, und hyperarid zu unterteilen. Am besten eignet sich hierzu die Vegetation, da sie stärker klimaabhängig ist als geomorphologische Strukturen. Den Vegetationsgrad kann man auch heranziehen, um die Begriffe Trockensteppe, Halbwüste, Vollwüste und Extremwüste voneinander abzugrenzen. Dabei ergeben sich für die verschiedenen Wüstengebiete folgende Definitionen: Für die Trockensteppe bzw. Trockensavanne gilt, dass die Vegetation sich scheinbar gegen den Horizont schließt, selbst wenn die Bodenbedeckung im Vordergrund lückenhaft ist. In einem gewissen Gegensatz dazu steht die Wüstensteppe bzw. Halbwüste: Hier schließt sich die Vegetation nicht mehr scheinbar gegen den Horizont, sondern bleibt lückenhaft. In der Vollwüste tritt die Vegetation nicht mehr diffus, sondern nur noch in kleinen Flecken oder in Vertiefungen auf, und der vegetationslose Eindruck herrscht vor. In der Extremwüste herrscht dann völlige Vegetationslosigkeit.
Etwas weniger kompliziert stellt sich die Abgrenzung der kalten (gemäßigten) von den warmen (subtropischen) Trockengebieten dar. Hierfür wird nach Wladimir Köppen der Schwellenwert von 18 °C Jahresmitteltemperatur verwandt. Oftmals ergeben sich Verzahnungen von warmen und kalten Trockengebieten, so z. B. in der Namib, wo sich vor der warmen Wüste des Inlands ein bis zu 40 Kilometer breiter Küstenstreifen mit kaltem Wüstenklima ausbildet.
Während die Ariditätsindizes bei der Abgrenzung von Wüsten hilfreiche Kriterien liefern, ist die Raumwissenschaft Geografie gefragt, wenn es um eine umfassende Gliederung der Wüsten geht, welche den Raumbezug herstellt. Auch hier existieren zahlreiche Gliederungsversuche. Die sinnvollste Gliederung lieferte meiner Auffassung nach Théodore Monod: Er unterschied zwischen dem nördlichen Gürtel, dem südlichen Gürtel und den Polarwüsten.
Der besseren Übersichtlichkeit wegen sind die Wüsten hier regional nach Kontinenten gegliedert. Innerhalb der Kontinente werden die Trockengebiete in einzelne Großregionen unterteilt, die manchmal eine, oft aber auch mehrere Wüsten umfassen.