Die Gestaltung meiner Bilder

Angenommen, ich habe ein Motiv gefunden. Bevor ich die Kamera ans Auge halte, muss ich natürlich das richtige Objektiv wählen. Es ist eine Frage der Erfahrung, ob ich zu einem Standardzoom, einem Weitwinkel oder Tele greife. Zoomobjektive verschaffen einen gewissen Spielraum, aber auch da gibt es Weitwinkel und Tele. Grundsätzlich gilt: Wenn ich einen weiten Horizont brauche, also einen größeren Bildwinkel, verwende ich das Weitwinkel. Ebenso, wenn ich den Vordergrund betonen möchte. Manchmal ist es aber auch eine kaum zu bewältigende Herausforderung, den Vordergrund eines Weitwinkelbildes kreativ zu füllen. Und wenn ich ein Motiv heranholen, sprich größer machen oder die Perspektive verdichten möchte, dann wähle ich ein Teleobjektiv. Das sind erst mal nur die Grundzüge, denn ganz so einfach ist es nicht.

In 99 Prozent der Fälle fotografiere ich im Querformat, obwohl bei manchen Motiven, etwa einem Minarett, Hochformat angebracht wäre. Das hat mehrere Gründe. Zum einen sind die Leinwände bei meinen Vorträgen im Querformat. Aufnahmen im Hochformat müsste ich stark verkleinern, damit sie nicht oben oder unten über die Leinwand hinausragen, und dann würde das Bild nicht mehr wirken. Zum anderen sieht eine Überblendung von Quer- und Hochformat – ein »Überblendkreuz« – nicht schön aus. Manchmal wähle ich dennoch das Hochformat, da Bücher und damit Buchseiten üblicherweise in diesem Format sind. Will man ein Foto ganzseitig abbilden, ohne es zu beschneiden, muss es im Hochformat fotografiert sein.

Normalerweise aber spielt sich bei mir alles im »Oskar-Barnack-Format« ab. Barnack konstruierte 1914 die erste Kleinbildkamera – mit einem Bildformat von 24 × 36 mm. An diesem 2:3-Verhältnis hat sich bis heute nichts geändert, trotz aller technischen Fortschritte. Ob später Dias oder heute Digitalfotos, üblicherweise sind alle Bilder von Kleinbildkameras in diesem idealen Format, das auch unserem Gesichts- und Blickfeld entspricht.

Wichtig ist, von Anfang an den Bildausschnitt richtig zu wählen. Dank der Digitalfotografie kann ich ihn nachträglich zwar verengen – was mit einem Verlust an Auflösung einhergeht –, jedoch nicht erweitern. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich durch die harte Schule der Analogfotografie gegangen bin, denn das hat mich zu sauberem, exaktem Arbeiten gezwungen, und davon profitiere ich bis heute. Sollte ich doch einmal die Kante einer Wand am Ausschnittrand übersehen haben, nehme ich schon mal nur 99 Prozent des Bildes, doch größere Ausschnittkorrekturen mache ich nicht.

Der Ausschnitt wird bestimmt durch das Objektiv – Normal, Tele oder Weitwinkel –, aber auch durch meine Position. Daher bin ich sehr aktiv und tanze quasi vor dem Motiv hin und her, vor und zurück, um den richtigen Standpunkt zu finden. Wenn ich den Ausschnitt dadurch nicht so hinbekomme, wie ich ihn haben will, wechsle ich das Objektiv oder drehe am Zoomring. Bei großer Distanz zum Motiv nutzt das Herumtänzeln allerdings herzlich wenig und macht es auch keinen Unterschied, ob ich einen Meter höher oder tiefer stehe. Das Bild würde sich dadurch nicht merklich verändern.

Wenn ich den Ausschnitt so wähle, dass der hässliche Hochspannungsmast nicht mit ins Bild kommt, bilde ich zwar eine subjektive Wahrnehmung der Realität ab, aber ich manipuliere die fertigen Bilder nicht, indem ich Bildelemente entferne oder hinzufüge.

Ganz entscheidend beim Fotografieren ist oftmals der richtige Zeitpunkt. Das kann bedeuten, auf die optimale Lichtsituation zu warten, etwa, dass die Sonne wieder hinter der Wolke hervorkommt, oder darauf, dass ein Baum, der im Wind steht, Licht durch seine Blätter lässt. Bei lebenden Objekten wie Menschen oder Tiere als Motiv, beobachte ich meist erst eine Zeit lang ihre Bewegungen und Mimik im Sucher, bis ich den richtigen Zeitpunkt für gekommen halte, erst dann drücke ich ab, vielleicht auch mehrfach.

Früher musste ich mir genau überlegen, wie viele Fotos ich von einem Motiv mache, um nicht unnötig Film zu verschwenden. Dennoch experimentierte ich manchmal mit verschiedenen Belichtungen, fotografierte zusätzlich mit einer halben oder einer Drittel Blende mehr oder weniger als der angegebenen Belichtung, denn der Diafilm musste sehr genau belichtet werden. In der Digitalfotografie ist das nicht mehr nötig. Natürlich versuche ich meine Bilder weiterhin richtig zu belichten, dafür sorgt schon der Belichtungsmesser, aber die Feinkorrektur erfolgt heutzutage in der Nachbearbeitung. Insofern kann ich mich mehr auf das Motiv konzentrieren.

Ein wichtiges Kriterium für die Wirkung eines Bildes ist die Anordnung der verschiedenen Bildelemente im Bildausschnitt. Bei Landschaften als Motiv kann ich die Anordnung nur ändern, indem ich meinen Standpunkt, also die Perspektive ändere. In den Weiten einer Wüste oder Polarregion können es viele Kilometer sein, die ich mich dafür bewegen muss. Vor einer Jurte dagegen braucht es oft nur wenige Zentimeter, um die Anordnung der Bildelemente so zu verändern, dass zum Beispiel eine Parabolantenne nicht in ein Motorrad hineinragt. Wenn das nicht hilft, würde ich eventuell darum bitten, das Motorrad zu versetzen. Schwieriger ist es bei Tieren, insbesondere bei Herden, die kaum steuerbar sind. Hier ist das Abpassen des richtigen Zeitpunkts gefragt. Das gilt auch für sich bewegende beziehungsweise arbeitende Menschen. Ich würde mir als Fotograf nie erlauben, in solchen Situationen die Protagonisten hin und her zu kommandieren. Etwas anders liegen die Dinge, wenn ich um ein Porträt einzelner Personen oder der ganzen Familie gebeten habe. In diesem Fall greife ich durchaus in die Anordnung ein, denn es hilft weder den Porträtierten noch mir als Fotograf, wenn sich Personen gegenseitig verdecken oder unglücklich im Bild stehen.